Werbung

Wir sollten wütender sein

Ein Protokoll: Demonstrant und Jusos-Mitglied Leo Schneider über Polizeigewalt bei der Hamburger Black-Lives-Matter-Demonstration

  • Fabian Gedale
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie war anfangs die Lage bei den Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt in Hamburg?
Am Samstagnachmittag traf mich mit meinen Freund*innen auf dem Hamburger Rathausmarkt, um uns den Protesten dort anzuschließen. Meine Freund*innen waren schon etwas länger dort und erzählten mir, dass die Demo schon direkt nach dem Beginn offiziell beendet wurde. Es befanden sich dennoch weiterhin Tausende Menschen auf dem Platz und Redebeiträge wurden gehalten.

Wie war die Stimmung unter den Demonstrant*innen?
Die Polizei hatte zwei Wasserwerfer aufgefahren, dazu sperrte eine Polizeikette die Straße zum Jungfernstieg. Während der Demos war die Stimmung unter den Demonstranten und Beamt*innen dennoch friedlich. Später am Abend, nach den Demonstrationen, befanden sich weiterhin mehrere Hunderte Menschen auf dem Rathausmarkt, hauptsächlich Jugendliche, welche in kleinen Gruppen zusammenstanden oder saßen. Außerdem war der Platz voller Passant*innen aus der Innenstadt, welche grade vom Einkaufen kamen. Es sah eigentlich aus wie immer.

Was passierte dann?
Plötzlich wurde es laut und eine große Gruppe von Polizist*innen stürmte auf den Rathausmarkt. Auf Personen, die im Weg standen, wurde von den Beamt*innen keinerlei Rücksicht genommen. Sie wurden angebrüllt, geschubst, mit dem Schlagstock beiseite gedrückt und vor sich hergetrieben. Viele der komplett friedlichen Jugendlichen mussten vor den anstürmenden Polizist*innen fliehen, um nicht überrannt zu werden.

Auf den Stufen neben dem Heinrich-Heine-Denkmal saßen zu diesem Zeitpunkt viele Menschen, welche aus der Innenstadt kamen oder sich nach der Demo ausruhten. Auch unter diesen Personen brach sofort Panik aus. Viele sprangen erschrocken auf und rannten in Richtung Jungfernstieg. Die eben noch friedliche Polizei wirkte wie ausgetauscht. Es wurde trotz des aggressiven Verhaltens aber keine Person festgesetzt und auch kein Versuch unternommen, den Rathausmarkt zu räumen. Den Sinn der Aktion verstand niemand.

Wie reagierten die Beamt*innen bei dem Denkmal?
Als die Polizei an dem Denkmal angekommen war, bezog sie Stellung und versprühte mehr oder weniger gezielt Reizgas auf friedliche Personen, welche nicht schnell genug fliehen konnten. Die Szene war unschön. Jugendliche und Passant*innen, an denen das Pfefferspray herunterlief, flohen schreiend und weinend auf dem Rathausvorplatz umher. In der Nachbarstraße sammelte sich dann etwas später eine weitere Polizeieinheit, die mit Gebrüll auf den Rathausmarkt rannte. Mittlerweile wurde kein Unterschied mehr gemacht zwischen Einkäufer*innen, Jugendlichen und friedlichen Demonstrant*innen. Polizist*innen liefen immer wieder auf einzelne herumstehende Gruppen zu. Ich verließ daraufhin den Ort.

Was bedeutete solch ein Einsatz auf einem Protest gegen Polizeigewalt?
Ein solcher Einsatz zeigt mit erschreckender Deutlichkeit das Problem auf, welches wir auch in Deutschland haben. Bei den Themen Rassismus und Polizeigewalt zeigen wir immer gerne mit dem Finger auf die USA. Dieser Reflex ist höchst gefährlich, denn er verhindert auch, dass wir uns und unsere Polizei endlich mal selbstkritischer betrachten. Diese Prozesse sind jedoch zwingend notwendig, um etwas zu verändern, denn die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt.

Oury Jalloh, Amad Ahmad und viele andere mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen. Aus der Polizei selbst wird diese Veränderung nicht kommen. Das hat uns abermals die Polizeigewalt nach der Demo gegen Polizeigewalt bewiesen. Wir sollten solidarisch mit den Opfern sein - und wütender.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal