»Große Lücke zwischen Worten und Taten«

Die salvadorianische Analystin Jessica Estrada über Nayib Bukeles Politikverständnis und den Umgang des salvadorianischen Präsidenten mit der Coronakrise

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele politische Beobachter kritisieren den autoritären Stil von Regierungschef Nayib Bukele - trotzdem zeigen zahlreiche Umfragen, dass er äußerst beliebt ist. Warum?

Die große Popularität des Präsidenten hängt mit der Unzufriedenheit der Menschen mit den etablierten Parteien und der weitverbreiteten Korruption unter den früheren Regierungen zusammen. Bukele hat von dieser Unzufriedenheit profitiert. Viele Menschen, die für ihn gestimmt haben, waren nicht unbedingt davon überzeugt, dass er das beste Programm anbietet, aber die anderen Parteien kamen für sie nicht in Frage.

Nutzt ihm diese Politikverdrossenheit auch in der Coronakrise?

Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien ist ja nach wie vor vorhanden, also sagt der Präsident: »Ich bin derjenige, der die Gesundheit und das Leben der Menschen schützt, während die Abgeordneten, die Unternehmer und alle anderen Sektoren euch nur schädigen wollen, also hört nur auf mich.« Und viele Menschen sehen die Worte des Präsidenten als absolute Wahrheit an und unterstützen ihn weiterhin, weil er seine Botschaft so geschickt formuliert, dass alle anderen als Gegner des Volkes und des Gemeinwohls erscheinen.

Präsident Bukele ist für sein energisches Durchgreifen in der Krise aber auch vielfach gelobt worden. Neben der strikten Ausgangssperre hat er ein Programm zur finanziellen Soforthilfe für notleidende Familien aufgelegt. Das klingt doch nach einem guten Plan!

Das stimmt, aber es klafft eine große Lücke zwischen den Worten und Taten der Regierung. Viele Menschen im Land haben die Unterstützung noch nicht erhalten, obwohl sie in extremer Armut leben, andere wiederum haben sie bekommen, weil sie Angestellte der Regierung sind. Die Koordination war wirklich sehr schlecht.

Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, hat Bukele Auffanglager einrichten lassen, in denen Menschen gesammelt werden, die gegen die Ausgangssperre verstoßen.

Auch das scheint auf den ersten Blick eine sinnvolle Maßnahme zu sein, um zu verhindern, dass die Zahl der Infizierten weiter ansteigt. In der Praxis sehen wir aber einen Machtmissbrauch des Präsidenten und der Sicherheitskräfte. Es kommt zu Menschenrechtsverletzungen, weil Salvadorianerinnen und Salvadorianer teilweise für mehr als 50 Tage und gegen ihren Willen in diesen Zentren festgehalten werden.

Das Verfassungsgericht hat diese Festnahmen im April für verfassungswidrig erklärt, doch Bukele hat sich über die Entscheidung hinweggesetzt. Wie kann der Präsident zur Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt werden?

Viele stellen sich genau diese Frage: Wo sind die Institutionen, die Bukele dazu drängen können, das Gerichtsurteil einzuhalten? Instanzen wie die Generalstaatsanwaltschaft müssten sich noch stärker einmischen, da reicht es eben nicht, nur offizielle Statements und Kommuniqués zu veröffentlichen.

Vor allem in der Sicherheitspolitik hat Bukele große Erfolge erzielt - die sehr hohe Mordrate ist im ersten Jahr seiner Amtszeit deutlich gesunken. Die Regierung sieht dies als Erfolg ihres massiven Einsatzes von Polizei und Militär im ganzen Land.

Das hat schon bei den vergangenen Regierungen nicht funktioniert, und deshalb glauben wir auch nicht, dass das genügt, um die Mordrate mehr als zu halbieren. Es steckt irgendetwas anderes dahinter, aber was genau das ist, werden wir wahrscheinlich für sehr lange Zeit nicht erfahren.

Viele Beobachter vermuten, dass die Regierung geheime Absprachen mit den kriminellen Jugendgangs getroffen hat - aber heiligt in diesem Fall der Zweck nicht die Mittel?

Das Absinken der Mordrate kann natürlich niemand schlecht finden, aber wir wissen eben nicht, wie nachhaltig diese Entwicklung ist, weil wenn die Grundlage dafür intransparente Verhandlungen sind, könnte diese Entwicklung schon bald zu Ende sein.

Was sind Bukeles Aussichten für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr?

Manche der Menschen, die ihn gewählt haben, weil sie dachten, dass er anders regieren wird, sind wahrscheinlich von ihm enttäuscht, weil er sehr aggressiv mit den Medien umgeht, weil er wichtige Informationen zurückhält und weil es verschiedene Fälle von Korruption gab. Es hängt alles davon ab, was in den kommenden Monaten passieren wird. Wenn die Wahlen schon heute wären, könnte Bukele mit seiner eigenen Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) auch die Mehrheit im Parlament gewinnen.

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