Stadtzentrum wird immer privater

Gemeinwohlorientierter Wohnungsbau gerät immer weiter ins Hintertreffen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Jede vierte Wohnung im Berliner Bezirk Mitte gehört derzeit landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. Im berlinweiten Vergleich eine eher durchschnittliche Quote. Doch der Anteil der gemeinwohlorientierten Wohnungseigentümer im Bezirk sinkt. Von den rund 7300 von 2017 bis 2019 neu errichteten Wohnungen sind über 6000 in privater Hand - 83 Prozent.

»Wir wollten eigentlich versuchen, 25 Prozent gemeinwohlorientierten Wohnungsbau zu erreichen. Das ist uns in Mitte bisher nicht gelungen«, räumt Stadtentwicklungsstadtrat Ephraim Gothe (SPD) ein. »Noch schlechter sieht das Verhältnis beim genehmigten, aber noch nicht realisierten Wohnungsbau aus«, sagt Gothe sorgenvoll. Lediglich 1800 von 14 000 Wohneinheiten sind Projekte von Wohnungsbaugenossenschaften oder Landeseigenen - nur 13 Prozent. »Gefühlsmäßig werden bei der Hälfte der privaten Bauvorhaben von vornherein Eigentumswohnungen errichtet«, sagt er und ist damit schon beim nächsten Thema, dem Umwandlungsgeschehen.

Für knapp 12 000 Wohnungen wurden in den letzten drei Jahren Abgeschlossenheitsbescheinungen erteilt. Das ist der erste Schritt zur Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum. »Das ist alarmierend. Denn die Leute, die sich im Wedding oder in Moabit eine Wohnung kaufen, sind definitiv aus einem anderen Milieu als die jetzigen Bewohner«, erklärt der Stadtentwicklungsstadtrat. Das könne zwar in diesen Kiezen auch einen positiven Effekt auf die Durchmischung haben, merkt er an. Auf diese »Durchmischung von oben« offensiv setzen will er allerdings nicht.

Das Umwandlungsgeschehen ist eine Zeitbombe. Denn die Schutzfristen von zehn bis zwölf Jahren machen die Auswirkungen auf den Mietmarkt erst mit großer Zeitverzögerung sichtbar.

Immerhin konnten in den vergangenen Jahren etwas über 450 Wohnungen durch die Ausübung von Vorkaufsrechten gesichert werden. Für weitere Wohnungen wurden Abwendungsvereinbarungen geschlossen, die für 20 Jahre die Umwandlung ausschließen.

Für weitere knapp 3000 Wohnungen in den zwölf Milieuschutzgebieten hat der Bezirk in den letzten zwei Jahren Modernisierungsvereinbarungen getroffen. »Damit können wir ein moderates Mietniveau von fünf bis acht Euro sichern«, sagt Gothe. »Diese individuellen Vereinbarungen sind noch nicht beklagt worden. Wir haben Rechtsfrieden, das ist wichtig«, so der Stadtrat.

»Das Ziel muss im Hinblick auf die Einkommenssituation der Berliner Haushalte und der Zuwandernden sein, mehr als 50 Prozent der Wohnungen im Eigentum von Anbietern zu haben, die sich dem Gemeinwohl verpflichten und Preis- sowie Belegungsbindungen akzeptieren«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Er appelliert an den Senat, gemeinsam mit den Bezirken eine »soziale Neubaustrategie« zu entwickeln, alle landesrechtlichen Instrumente auszuschöpfen und sich im Bund für eine Änderung des Baugesetzbuches einzusetzen, die den Kommunen mehr Einfluss auf Bodenpreise, Grundstückshandel und Bauplanung verschafft.

Immerhin werden noch für 70 Prozent der Wohnungen im Bezirk Nettokaltmieten bis sechs Euro pro Quadratmeter gezahlt. Bei Neuvermietungen, selbst von unsanierten Häusern in schlechter Lage, wurden jedoch im vergangenen Jahr bis zu zwölf Euro verlangt. Mehr als die Hälfte der Haushalte gab mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Miete aus. 230 Millionen Euro zahlten Jobcenter und Sozialamt für die Kosten der Unterkunft. »Zu 90 Prozent an private Vermieter«, weiß Gothe.

Der Bezirk fördert das Projekt »Häuser bewegen«. Es berät private Eigentümer, die verkaufen wollen, und zwar nicht an Spekulanten, sondern an gemeinwohlorientierte Akteure. »Einzelne Häuser sind für die landeseigenen Gesellschaften eher Kleinvieh, das ihnen zu viel Arbeit macht«, sagt Gothe

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