»Wir leben noch, Gott sei Dank«

Von Sanktionen betroffen müssen viele Syrer zweimal überlegen, was sie auf dem Markt kaufen können

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Uns geht es gut, sagt Amar M. gegenüber dem »nd« am Telefon, alle seien gesund. Tochter und Sohn studieren, im Sommer seien die Prüfungen. Die Familie erhalte Hilfe von Verwandten, die in Australien lebten. Sie schickten über private Dienste Geld, das ihnen in Syrischen Pfund ausgezahlt werde. Internationale Geldtransfers wie Western Union zahlten nur etwa 30 Prozent der ursprünglich überwiesenen Summe aus, niemand nutze das noch.

Amar M. lebt mit seiner Familie in einem Vorort von Damaskus. Der Mittfünfziger wechselte in den 1990er Jahren als Buchhalter von seinem früheren Arbeitgeber Mercedes ins Hotelmanagement. Arbeit hat er bis heute, doch anstelle der Touristen, die vor dem Krieg das Hotel füllten, kommen die Gäste aus Qamischly, Hasakeh und Rakka im Nordosten des Landes. »Sie sind krank und die Gesundheitsversorgung dort ist nicht so gut wie in Damaskus«, erklärt Amar. »Viele haben Krebs und in Damaskus haben wir ein staatliches Krebskrankenhaus, wo die Patienten kostenlos oder gegen geringe zusätzliche Gebühren versorgt werden.«

Die Preise für Lebensmittel und Medikamente seien jedoch schwindelerregend gestiegen. »Wir wissen ja, dass im Juni das Caesar-Gesetz in Kraft treten wird, doch was das genau für uns bedeutet, wissen wir nicht«, erzählt Amar weiter. Es heiße, die Sanktionen richteten sich nicht gegen Lebensmittel und Medikamente, aber »was auf uns zukommt, wissen wir nicht«, so Amar M.

Ende Mai seien die Leute unruhig geworden und hätten angefangen, Grundnahrungsmittel und Medikamente in großen Mengen zu kaufen, und das unabhängig von der Coronapandemie. Denn die Händler hätten die Preise erhöht, weil auch wiederum deren Zulieferer die Preise erhöht hätten. Er selbst habe genug Mehl, Reis und Linsen für drei Monate kaufen können, was danach aus ihnen werde, wisse er nicht. Richtig schlecht gehe es den vielen armen Familien, den Tagelöhnern, die ohne Arbeit auch nichts zu essen hätten.

»Wir haben bestimmte Lebensmittel vergessen. Huhn oder Fleisch können wir nicht bezahlen. Die Armen haben die Milchprodukte vergessen. Milch, Käse, aber auch Eier können sie sich nicht leisten. Es ist furchtbar.« Die Pharmaindustrie habe die Produktion eingestellt, weil sie nicht mehr genügend Rohstoffe einkaufen konnte, nach wenigen Tagen seien die Regale in den Apotheken wie leer gefegt gewesen, viele hätten geschlossen.

Die Preiserhöhung vieler Lieferanten, sagt Amer, liege auch daran, dass diese nicht mehr über den Libanon importieren könnten, weil auch die dortige Wirtschaft extrem unter Druck sei.

Der US-Sondergesandte für Syrien James Jeffrey erklärte kürzlich den Absturz der syrischen Währung damit, dass »Russland und Iran nicht mehr in der Lage sind, das Assad-Regime zu stützen. Und das Regime selber ist nicht mehr in der Lage, eine angemessene Wirtschaftspolitik zu verfolgen oder sein Geld in libanesischen Banken zu waschen.«

Am Dienstag beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat turnusmäßig in einer Videokonferenz mit der politischen und humanitären Lage in Syrien. Bei der letzten Sitzung Mitte Mai hatten Russland und China die Aufhebung aller Wirtschaftssanktionen gegen das Land gefordert. Die westlichen Sicherheitsratsmitglieder USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland wiesen das zurück. Die Verantwortung für die schlechte Wirtschaftslage in Syrien trage einzig das »Assad-Regime«.

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