Kein Vertrauen in Tönnies

Mehr als 1000 Infizierte / Bundesregierung erhöht Druck auf Fleischindustrie

Zwischen den Städten Hamm und Bielefeld liegen gut 60 Kilometer, und zwischen diesen Großstädten liegt das Örtchen Rheda-Wiedenbrück. Eigentlich ein unscheinbarer Ort, wäre da nicht die riesige Fleischfabrik von Clemens Tönnies. Von Hamm bis Bielefeld verteilt, liegen auch Wohnungen und Sammelunterkünfte, in denen Arbeiter des Fleischkonzerns untergebracht sind. Das verdeutlicht, warum der Corona-Ausbruch bei Tönnies kein lokales Ereignis ist. Er trifft ganz Ostwestfalen - mindestens.

Am Samstag wurde der Betrieb für 14 Tage geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren 1029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden, und mit jeder Testrunde werden weitere Fälle bekannt. Fünf Menschen werden intensivmedizinisch behandelt. Alle 7000 Mitarbeiter aus Rheda-Wiedenbrück sollen in Quarantäne. Doch das gestaltete sich am Wochenende deutlich schwieriger als gedacht. Denn der Kreis Gütersloh hatte große Probleme bei der Beschaffung der Adressen. Nachdem am Freitagvormittag immer noch 30 Prozent gefehlt hätten, hätten sich der Kreis Gütersloh und der Arbeitsschutz in der Nacht zu Sonnabend Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. »Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern«, sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU). Die Behörden seien gemeinsam am Freitagabend in die Konzernzentrale gegangen. Nachts um 1.30 Uhr sei man fertig gewesen. »Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich null. Das muss ich so deutlich sagen«, erklärte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch.

Clemens Tönnies weist die Vorwürfe des Landkreises zurück, bei der Beschaffung der Wohnadressen von Mitarbeitern unkooperativ gewesen zu sein, und macht »datenschutzrechtliche Probleme« dafür verantwortlich. Demnach dürfe laut Gesetz das Unternehmen die Adressen der Werkvertragsarbeiter nicht speichern. Unternehmenssprecher André Vielstädte erklärte, die Aufforderung der Behörden sei »umgehend an alle Dienstleister weitergegeben« worden. Einige seien jedoch nicht bereit gewesen, ohne eine schriftliche Anforderung die Daten herauszugeben. »Nachdem diese schriftliche Anforderung der Behörde vorlag, konnten auch die noch ausstehenden Adressen umgehend der Behörde übergeben werden.« Wo die Behörden jetzt im Besitz der Adressen sind, sollen mobile Testteams in den Wohnungen vorbeischauen.

Zum Teil wird die Quarantäne mit robusten Mitteln durchgesetzt. In Verl etwa wurde ein ganzer Wohnblock unter Aufsicht von Bereitschaftspolizei mit Bauzäunen abgeriegelt. In dem Block sind über 100 positiv getestete Tönnies-Mitarbeiter gemeldet. Ihre Familien wurden bisher noch nicht getestet. Aus anderen Siedlungen, in denen viele Mitarbeiter der Fleischfabrik untergebracht sind, gibt es Berichte, dass diese massenhaft verlassen wurden.

Der massive Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik setzt auch die Bundespolitik unter Handlungsdruck. »Fleisch ist zu billig«, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie setzt sich für eine Tierwohlabgabe ein. Im Gespräch ist auch, Billigpreiswerbung für Fleisch einen Riegel vorzuschieben. »Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen«, sagte Klöckner. »Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.«

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte im Deutschlandfunk, dass »die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und dass die Missstände abgestellt werden«. Wie dies geschehen soll, dazu kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Wochenende Folgendes an: »Wir wollen die Kontrollen weiter verschärfen, noch bevor das neue Gesetz zur Arbeitssicherheit in der Fleischindustrie da ist.« Heil will im Sommer einen Gesetzentwurf vorlegen, um von 2021 an Werkverträge in der Branche weitgehend zu verbieten - also dass die komplette Ausführung von Schlachtarbeiten bei Subunternehmern eingekauft wird.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter rief am Wochenende die Supermarktketten zu einem Boykott von Tönnies-Produkten auf. Es sei an der Zeit, dass sich die großen Supermarktketten »nicht länger mitschuldig machen«. Mit Agenturen

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