Pietkong

»Bürgerkrieg« in Stuttgart

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

In Stuttgart, einem Kaff im Schwäbischen, bekannt für seine Parkhäuser und seine kulturelle Bedeutungslosigkeit, hat eine Hand voll gelangweilter junger Männer mit zu viel Testosteron im Körper (der Lesart und offiziellen Sprachregelung der örtlichen Polizei zufolge: die »Party- und Eventszene«) ein paar Schaufensterscheiben eingeworfen und Steine auf Polizeifahrzeuge geworfen. Nicht völlig auszuschließen ist nach derzeitigem Wissensstand, dass zuvor einige junge Leute bei ihrem Feierabenddrogenkonsum von übereifrigen Polizisten übermäßig drangsaliert und kujoniert wurden.

Im konservativen Stuttgart, wo, wer nach 22 Uhr noch auf den Straßen unterwegs ist, schon mal grundsätzlich als gefährlicher Herumtreiber und Tunichtgut gilt und wo das Mitführen eines Krümels Haschisch als Kapitalverbrechen betrachtet wird, gibt es keine »Party- und Eventszene«. Es kann sie nicht geben, schon allein deshalb, weil es in Stuttgart keine »Partys« und »Events« gibt, die eine solche Bezeichnung verdient hätten.

Der »Kölner Stadt-Anzeiger« will im Einschlagen von Schaufenstern und im Klauen von Billigware nun gar einen »Zivilisationsbruch« ausgemacht haben (»Täter, die höhnisch den Zivilisationsbruch zelebrieren«). Was Journalisten halt so schreiben, wenn der Tag lang ist und die Meise im Kopf groß. (Der letzte als ein solcher bezeichnete »Zivilisationsbruch« in der deutschen Geschichte war der Holocaust, das nur zur Erinnerung.) Kurz: Das Treiben wird nachträglich zum »Bürgerkrieg« umgelogen, um den Ausbau Stuttgarts zur von bis an die Zähne bewaffneten Cops bewachten, reaktionären Spießerfestung weiter voranzutreiben.

Was aber die wenigsten wissen: Die »vollkommene Stadtkatastrophe«, wie der Dichter Jan Orthwien Stuttgart einmal nannte, kann selbst durch sogenannten Vandalismus nur schöner werden. Der Menschenschlag, der dort lebt, hat die Begrenztheit seines Talbewohnerdaseins jahrhundertelang durch übermäßige Bautätigkeit zu kompensieren versucht. Das Ergebnis ist eine unansehnliche Ansammlung hässlicher Einkaufspassagen, verstörender Betonbrücken und würfelförmiger Behausungen. Im Grunde muss man die Steinewerfer, so stumpfsinnig und geistlos diese auch gehandelt haben mögen, als freischweifende unfreiwillige Architekturkritiker verstehen.

Unterschätzt wird Stuttgart hingegen als Wiege einer gefährlichen Sekte, der sogenannten Pietisten (»Pietkong«): In kaum einer anderen deutschen Stadt ist die Konzentration sich auf den ersten Blick harmlos gebender, tatsächlich aber eindeutig als extremistisch einzustufender evangelischer Religonslehrerinnen so hoch wie in dieser unscheinbaren, kleinen »Stadt«.

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