nd-aktuell.de / 25.06.2020 / Kultur / Seite 12

Militante Hausmütter

Die Miniserie »Mrs. America« zeigt die Widersprüche im US-Feminismus der 70er Jahre

Stefan Ripplinger

Die Qualität von politischer Kunst ist leicht zu bestimmen. Betrachtet sie ihren Gegenstand einseitig und lädt sie dazu ein, sich entweder mit ihm zu identifizieren oder sich über ihn zu empören? Dann ist sie, sie mag so gut gemacht sein, wie sie will, bestenfalls als Propaganda zu gebrauchen. Oder betrachtet sie ihren Gegenstand von zwei oder mehreren Seiten? Erkennt und sucht sie Widersprüche? Dann kann diese Kunst etwas anstoßen. Dahvi Wallers Miniserie »Mrs. America« gehört klar zur zweiten Sorte. Sie erzählt die Geschichte des gescheiterten Versuchs, die rechtliche Gleichstellung von Frauen (Equal Rights Amendment, ERA) als Zusatz in die Verfassung der USA aufnehmen zu lassen, aus der Perspektive einer fanatischen, aber nicht dummen Antifeministin, Phyllis Schlafly (1924-2016).

Schlafly errang Bekanntheit dadurch, dass sie 1964 im Selbstverlag ein Buch herausbrachte, das den Politiker Barry Goldwater unterstützte und sich millionenfach verkaufte. Goldwater war der Erzvater der parlamentarischen Rechten in den USA, ein Wegbereiter von Ronald Reagan und Donald Trump; antikommunistisch, rassistisch, neoliberal. Unvergessen bleiben die Essays, die der Historiker Richard Hofstadter über Goldwater schrieb, beginnend mit »Der paranoide Stil in der amerikanischen Politik« (1963). In einem von diesen bemerkt Hofstadter über Schlafly, ihre Verschwörungstheorien überflügelten selbst die ihres Meisters. Sie behaupte, »New Yorker Königsmacher« innerhalb der Republikanischen Partei ergatterten Posten für ihre Leute, um sich die »Kontrolle über den größten Geldmarkt der Welt« zu sichern: »die Exekutive der US-Regierung«. Gerichtet war das unter anderem gegen Richard Nixon.

Präsident Nixon billigte ERA aus Opportunismus. Wie viele andere Republikaner sah er in dem Artikel bloß Symbolpolitik, die man der wachsenden Frauenbewegung durchaus gönnen könne. Aber die Bundesstaaten mussten noch über ihn abstimmen, und den Erfolg dieser Abstimmung machten die Feministinnen in den USA zu ihrer Herzensangelegenheit. Eine ebensolche Herzensangelegenheit war es Schlafly, ERA zu verhindern, weil sie in dem Artikel den Versuch der Ostküste sehen wollte, das glückliche Familienleben des »Bibelgürtels« zu untergraben.

Als die von Cate Blanchett in all ihrem heroischen Selbstbewusstsein, aber auch in ihrer Heuchelei und Gebrochenheit fein dargestellte Schlafly von einem verdutzten Talkshow-Moderator gefragt wird, wie sie denn darauf komme, dass es nach ERA keine getrennten Toiletten mehr geben werde, das sei ihm neu, antwortet sie: »Denken Sie denn, als Lenin 1917 die Revolution ausrief, hätte er dem Volk gesagt: Kämpfe mit uns und dafür gebe ich dir Lebensmittelknappheit, Zensur und Terror? Nein, er versprach ihnen Frieden, Land und Brot.« Und so hinterhältig seien auch die Feministinnen. Sie versprächen Gerechtigkeit, aber ihr Ziel sei ein »totalitärer Albtraum«: Unisextoiletten, abgeschlachtete Föten, zum Kriegsdienst gezwungene Jungfrauen, zerbrochene Ehen, wild wuchernder Lesbianismus und natürlich Kommunismus. Da war er wieder - der »paranoide Stil in der amerikanischen Politik«. Die Serie legt nahe, die Schlaflys hätten in ihrem Keller, für den Fall eines Einmarschs der Sowjets oder vielleicht der Lesben, einen Bunker mit Gasmasken und Konserven ausgestattet.

Diese Paranoia ist Auswuchs eines schon alten und bis heute anhaltenden Kulturkampfs, der reale Gründe hat. Tatsächlich überlappen sich in jedem Land die Etappen der Gesellschaftsentwicklung. Während beispielsweise die Ost- und die Westküste der USA bereits weit kapitalisiert und modernisiert sind, lebt die agrarische Landesmitte vielfach noch in traditionellen Verhältnissen. Sie bedeuten Knechtung von Frauen, Afroamerikanern und sexuellen Minderheiten, aber auch, bei allem Zwang, Verlässlichkeit und Zusammenhalt über Generationen hinweg.

Es kommt hinzu, dass Landeier sich vom Lebensstil urbaner Feministinnen wie Gloria Steinem überfordert fühlen können. Eine Aktion der Schlafly-Gruppe bestand deshalb darin, Abgeordnete mit Selbstgebackenem zu erfreuen; »von den Brotmacherinnen für die Brotgeber«. Tradition sollte gegen Moderne, Hausmütterchen sollten gegen Singlefrauen stehen - doch in Wahrheit war Schlafly weder eine Exponentin der Tradition noch ein Hausmütterchen.

Zwar war sie Mutter von sechs Kindern, darunter eines schwulen Sohnes, aber die Erziehung überließ sie ihrer Schwägerin und den afroamerikanischen Dienstboten. Sie stand häufiger hinterm Rednerpult als hinterm Herd, studierte nebenbei und fiel mit ihrem Ehrgeiz ihrem 15 Jahre älteren Gatten, einem Anwalt, auf die Nerven. Kurz, sie konnte gegen Emanzipation nur ankämpfen, weil sie in vieler Hinsicht bereits emanzipiert war.

Widersprüche finden sich auch bei ihren Gegnerinnen. Steinem (gespielt von Rose Byrne), die Ikone der Bewegung, zeigte die typische Inkonsequenz der Kulturlinken. Sie unterstützte die erste schwarze Präsidentschaftskandidatin, Shirley Chisholm (1924-2005) - in der Rolle brilliert Uzo Aduba wie zuvor schon in »Orange Is the New Black« -, nur um sie im entscheidenden Moment im Stich zu lassen. Trotz ihrer Launen behielt für Steinem das Recht auf Abtreibung, auch aus persönlichen Gründen, oberste Priorität.

Das Gegenmodell zu ihr waren die organisierten Feministinnen Bella Abzug (Margo Martindale, bekannt aus den »Americans«) und Betty Friedan (Tracey Ullman). Sie verfolgten eine pragmatische Politik, deren Hauptforderung die gleiche Bezahlung für alle war. Abtreibung und die Anliegen von Lesben oder Afroamerikanerinnen kamen für sie erst an zweiter, dritter, vierter Stelle. Mögen Abzug und Friedan politisch konsequenter vorgegangen sein, ließen sie sich doch immer wieder von den Patriarchen der Demokratischen Partei vereinnahmen.

Auch diese Serie muss beliebte Songs der Zeit anspielen - ein Unfug, den Martin Scorsese ins Kino eingeführt hat -, sie schmiegt sich mit ihren Split-Screens an die Ästhetik der 70er Jahre an und wirkt deshalb manchmal nostalgisch. Das nimmt ihr aber nicht ihre Frische. Ihr subtiler, bitterer, oft auch komischer Rückblick macht sie zur Empfehlung für alle, die vom Feminismus mehr verlangen als Facebook-Seiten.

»Mrs. America«, Miniserie, USA 2020. Von Dahvi Waller. Darstellerinnen: Cate Blanchett, Rose Byrne, u. a. Neun Teile, seit Mai auf dem Streamingdienst Hulu.