nd-aktuell.de / 26.06.2020 / Berlin / Seite 7

Schulbank statt Freibad

Um Lernrückstände aufzuholen, bauen Tausende Schüler auf Nachhilfe in den Ferien

Rainer Rutz

Alle Freunde chillen im Freibad, am See, im Urlaub - und man selbst soll die Schulbank drücken? Mitten in den Sommerferien? Vielen der rund 350 000 Berliner Kinder und Jugendlichen, für die spätestens am Mittwoch sechs Wochen Ferienfreizeit begonnen haben, dürfte es allein bei der Vorstellung kalt den Rücken runterlaufen. Für einen kleinen Teil von ihnen heißt es aber tatsächlich ab kommenden Montag schon wieder: Hefte raus! Die Sommerschule geht los!

Die »Sommerschule 2020« ist eines der aktuellen Lieblingsprojekte von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Zwölf Millionen Euro lässt sich das Land Berlin das Programm kosten. Es richtet sich an Schüler der Klassenstufen 1 und 2 sowie 7 bis 9, bei denen die coronabedingten Schulschließungen und die zuletzt praktizierte Vor-Ort-Beschulung im Minimalmodus zu größeren Lernlücken geführt haben könnten. »Mir ist ganz wichtig, dass Schülerinnen und Schüler, die in der Coronakrise Nachteile hatten, ihre Lernrückstände aufholen«, ließ Scheeres vor wenigen Tagen mitteilen, als sie die Anmeldezahlen für das kostenlose Nachhilfeprogramm präsentierte. Demnach haben sich fast 11 500 Kinder und Jugendliche angemeldet. Wohlgemerkt freiwillig, wie die Bildungsverwaltung betont.

Unterrichtet werden soll in kleinen Gruppen mit maximal acht Schülern, drei Zeitstunden täglich, drei Wochen lang die Kleinen, zwei Wochen die Großen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch. »Die Vorbereitungen laufen gut an«, teilt die Senatsbildungsverwaltung auf nd-Anfrage mit. So weit, so klar.

Für Aufregung hatte nun aber am Mittwoch ein Bericht der »Berliner Morgenpost« gesorgt. »Sommerschule in Gefahr«, hieß es dort. Der Hintergrund: Die Lehrinhalte werden von den Schulen nur vorbereitet, das Programm selbst wird aber von privaten Nachhilfe-Anbietern gestemmt. Und von diesen waren kurzfristig vier abgesprungen, weil die Verträge unfair und die Abrechnungssysteme undurchsichtig seien. Die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus ließ es sich nicht nehmen, noch am Mittwoch auf den Zug aufzuspringen. »Hier hat mal wieder der Aktionismus statt ein durchdachter Plan gewonnen«, polterte ihr bildungspolitischer Sprecher Paul Fresdorf.

Alles halb so wild, beruhigt die Bildungsverwaltung. Insgesamt beteiligen sich über 30 Anbieter an dem Programm. »Auch die vier, mit denen es Gespräche gab, sind wieder mit dabei«, so Scheeres’ Sprecher Martin Klesmann am Donnerstag zu »nd«. Für einige Träger seien »die etwas dichteren Verträge zu Zuwendungsbescheiden« einfach noch Neuland gewesen, was bei »manchem eher kleineren Träger kurzfristig zu einem Gefühl der Überforderung« geführt habe. »Die Vorbehalte konnten aber in Gesprächen und durch Nachbesserungen aufgelöst werden«, so Klesmann.

»Das stimmt nicht«, widerspricht Matthias Raudat, Geschäftsführer von »Die Kopfpiloten«, einem der Anbieter, die ausgestiegen sind. »Man hat uns am Mittwoch schlichtweg die gleichen Verträge noch einmal geschickt.« Er sei spätestens jetzt an dem Punkt angekommen, wo er sagen müsse: »Nein, das kann und will ich nicht unterschreiben.« Tilo Pätzolt vom Anbieter »Lehrreich« bestätigt, dass die neuen Verträge identisch mit den alten seien, und auch Pätzolt ärgert sich über das eigentlich inakzeptable »Vertragstheater« und die »weltfremde« Planung und »chaotische« Kommunikation seitens der Senatsverwaltung. Sofern sich die Gegenseite bei den Verträgen noch bewege, sei der Zug für ihn aber noch nicht abgefahren. »Wir wollen das Programm natürlich machen.«

Der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise, warnt derweil vor einer Dramatisierung. »Die Bildungsverwaltung versucht doch gerade, die Kuh vom Eis zu holen«, sagt Heise zu »nd«. Er hält es für wenig zielführend, die Sommerschule schlechtzureden, bevor sie überhaupt losgegangen ist. »Wir unterstützen das Programm unverändert. Die Sommerschulen waren schließlich genau das, was wir gefordert haben.«