Gejagte Jäger

Haie gelten weithin als gefährliche Raubtiere. Doch der Mensch tötet weit mehr der ältesten Wirbeltiere als diese Menschen.

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 6 Min.

Wer schon mal extrem hohe Zinsen auf einen Kredit zurückzahlen musste, ist möglicherweise einem Kredit-Hai auf den Leim gegangen. Oder zahlen Sie eine ungewöhnlich hohe Miete für Ihr Wohnobjekt? Dann sind Sie Opfer eines Immobilien-Hais geworden. Beide Spezies zeichnen sich durch Habgier und Gewinnstreben aus. Doch was genau haben die wirklichen Haie damit zu tun? Die Meeresräuber sind zwar groß und haben viele spitze Zähne, doch sind sie deshalb weder böse noch habgierig.

Haie - die ältesten lebenden Wirbeltiere der Welt - stehen seit über 400 Millionen Jahren in den Meeren an der Spitze der Nahrungspyramide. Indem sie kranke Tiere und kleinere Raubfische fressen, halten sie die Ökosysteme gesund.

Ein Urahn des Hais war der Megalodon mit einer Körperlänge zwischen 16 und 20 Metern. Die Körpergrößen heutiger Haie hingegen variieren zwischen 20 Zentimetern beim Zwerglaternenhai (Etmopterus perryi) bis zu 14 Meter beim Walhai (Rhincodon typus). Haie verschiedener Arten kommen heute sowohl in polaren Gewässern als auch in gemäßigten Breiten und tropischen Meeren vor. Die Tiere tauchen meist nicht tiefer als 300 Meter - mit Ausnahme des Pazifischen Schlafhais (Somniosus pacificus), der bis zu 1000 Meter tief taucht. In Süßgewässern sind Bullenhai (Carcharhinus leucas) und Gangeshai (Glyphis gangeticus) zu Hause.

Haie sind zwar vermutlich farbenblind, ihre Augen sind aber zehnmal lichtempfindlicher als die des Menschen. Darüber hinaus besitzen sie einen überaus empfindlichen Geruchssinn und können überdies über elektrische Veränderungen im Wasser ihre Beute aufspüren.

Wen fürchtet der Weiße Hai?

Das alles gilt auch für den wohl bekanntesten Hai, den Weißen Hai. Doch selbst dieser hat natürliche Feinde. In einer Studie, die 2019 im Fachjournal »Scientific Reports« (DOI: 10.1038/ s41598-019-39356-2) veröffentlicht wurde, heißt es, dass die großen Räuber ihr Jagdgebiet bis zu einem Jahr lang aufgeben, sobald sie dort einem Orca begegnen. Die Forscher hatten unweit von San Francisco (USA) jahrelang das Verhalten von 165 Weißen Haien, von Orcas und Elefantenrobben - deren Beutetieren - beobachtet. Dieser Fluchtreflex ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Orcas Haie gezielt dahin beißen, wo die Leber sitzt, denn die ist für sie besonders nahrhaft. Um die Leber herauszutrennen, dreht der größere Orca den Hai einfach auf den Rücken, der in dieser Position völlig gelähmt ist.

Lange nahm man an, dass Haie in der Dämmerung oder im Morgengrauen jagen. Doch eine Untersuchung vor der Küste Südafrikas, bei der über am Rücken installierte Videokameras das Verhalten von acht Weißen Haien bei der Robbenjagd beobachtet worden war, zeigte, dass die Fische auch bei Tageslicht jagen. Entweder verfolgen sie individuell verschiedene Jagdstrategien, vermutet Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie, oder sie haben lokal ausgeprägte Jagdtraditionen.

Weltweit gibt es rund 500 Haiarten, die sich nicht nur in Lebensweise, Nahrungsvorlieben und Verhalten unterscheiden, sondern auch in Gestalt und Körperfarben. Katzenhaie zum Beispiel erscheinen in unauffälligem Braun. Im Atlantik und im östlichen Pazifik hingegen leuchten einige ihrer Verwandten in fluoreszierendem Grün auf, wie Wissenschaftler um David F. Gruber von der City University New York herausfanden (»iScience«, DOI: 10.1016/ j.isci.2019.07.019). Das zuvor unbekannte grün fluoreszierende Molekül dient möglicherweise der Kommunikation mit Artgenossen und soll vor schädlichen Mikroben schützen. Denn die Haie verstecken sich oft zwischen Felsen, wo sich viele Bakterien tummeln. Auch bei der Fortpflanzung unterscheiden sich Katzenhaie von Weiß-, Blau-, Hammer- und Tigerhaien. Während diese voll entwickelte Junge zur Welt bringen, legen Katzenhaie befruchtete Eier im Wasser ab.

Der Walhai - ein Allesfresser?

Walhaie, Riesen- und Riesenmaulhaie bevorzugen winzige Krebse, Plankton, Kleinstlebewesen und -fische, die sie mit Hilfe ihrer Kiemen aus dem Wasser filtern. Der Walhai als größter Meeresfisch war bisher dafür bekannt, dass er Plankton aufsaugt. Kürzlich allerdings fand man in Mägen von Walhaien unter anderem auch Seetang (»Ecological Monographs«, DOI: 10.1002/ecm.1339). Ist kein anderes Futter vorhanden, greifen diese Haie auf Algen zurück, vermutet Forschungsleiter Alex Wyatt.

Am Anfang der Nahrungskette stehen Kieselalgen, die auf Meereisschollen wachsen und von Krill abgegrast werden. Mit dem Schmelzen des Meereises schrumpft deshalb auch die verfügbare Biomasse tierischen und pflanzlichen Planktons - seit 1950 fast um die Hälfte. Bedrohlich für Wale und Walhaie, die auf den arktischen Krill angewiesen sind.

Doch mehr noch als der Klimawandel bedroht die Haie Überfischung, Meeresverschmutzung und Massentourismus. Und es ist nicht nur die ostasiatische Vorliebe für Haifischflossensuppe, die den Bestand bedroht. So manches Haifleisch trägt Namen, die die Herkunft verbergen. Der geräucherte Bauchlappen des Dornhais etwa geht als »Schillerlocken« über die Theke. Und sein Rückenfilet wird als See-Aal oder als Steinlachs (Rock Salmon) angeboten. Der Dornhai, der sich übrigens auch von Quallen ernährt, pflanzt sich erst im Alter von 15 bis 20 Jahren fort, mit einer Tragezeit von fast zwei Jahren. Die Art ist auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten des IUCN als besonders gefährdet verzeichnet. Und der ebenfalls bedrohte Heringshai (Lamna nasus) wird als Kalbsfisch, Seestör oder Karbonadenfisch verkauft.

Gesund ist der Verzehr dieser Fische allerdings nicht. Ihr Fleisch ist stark quecksilberbelastet, wie Chemiker von der Universität Mainz schon vor Jahren zeigten. Was beim Menschen Nervensystem, Nieren und Fruchtbarkeit beeinträchtigt, scheint Weiße Haie nicht zu stören. So stellte ein Wissenschaftlerteam vor der Küste Südafrikas im Blut von 43 Tieren eine ungewöhnlich hohe Konzentration an Schwermetallen fest, ohne dass sich die Konzentration an weißen Blutzellen erhöht hätte. Offenbar besitzen Haie einen physiologischen Schutzmechanismus gegen Schwermetalle, heißt es in der Studie (»Marine Pollution Bulletin« DOI: 10.1016/j.marpolbul.2019.03.018). Dennoch lösen die Giftfunde Sorge aus. Denn wenn Haie mit Quecksilber belastet sind, muss auch die marine Nahrungskette belastet sein. Und Haie konsumieren in etwa dieselben Meerestiere wie Menschen.

Haie profitierten vom Lockdown

Haie jagen in der Regel keine Menschen, sagt Haiforscher Jean Marie Ghislain, der seit vielen Jahren mit den Raubfischen taucht. Unbekannten Objekten im Wasser nähern sich die Tiere höchstens aus Neugier an, um sie zu untersuchen. Dabei kommt es dennoch immer wieder zu ernsthaften Attacken, zum Beispiel, wenn Schwimmer in ein Hai-Territorium eindringen. Jedes Jahr werden 50 bis 70 Hai-Angriffe dokumentiert. Allerdings wird schon das Streifen oder Anstupsen als Angriff gezählt. Zwischen 2014 und 2019 gab es laut Statistik zwei bis sechs Todesopfer pro Jahr durch Haie. Durch Krokodile sterben rund 1000 Menschen im Jahr. Der Hai-Experte empfiehlt Wassersportlern, jene Stellen im Meer zu meiden, wo Haie jagen.

Als im Rahmen der Corona-Maßnahmen im April 2020 Badeurlaubern in Südafrika das Betreten der Strände verboten wurde, zog man auch alle Haischutznetze ein, die normalerweise entlang der Küste gespannt sind. In den 200 Meter langen und sechs Meter tiefen Netzen verfangen sich nicht nur Haie mit ihren Kiemen. Auch zahlreiche andere Meerestiere verenden in den Netzen: Allein 2017 waren das neben rund 70 Hammerhaien auch 18 Schildkröten, 26 Delfine, vier Wale und 30 Rochen. Dem KwaZulu-Natal Shark Board (shark.co.za) zufolge wurden in der Region Kiemennetze und Trommellinien entfernt, so dass nicht nur Haie, sondern auch Delfine und Schildkröten in die menschenleeren Gewässer zurückkehrten. Der hoffnungsvolle Ansatz von KwaZulu-Natal ist vorbildhaft in Südafrika. Inzwischen arbeitet auch die Umweltorganisation Shark spotters (sharkspotters.org.za) an einem langfristigen Konzept, mit dessen Hilfe Haie und Badegäste gemeinsam das Meer nutzen können, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen.

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