Klimaschutz wird »begleitet«

EU-Ratsvorsitz mit vagem Arbeitsprogramm

  • Verena Kern
  • Lesedauer: 3 Min.

Zehn Tage, bevor die Bundesregierung zum 1. Juli turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, gingen die führenden Wissenschaftler*innen des Landes an die Öffentlichkeit. Klimaschutz, so ihr dringender Appell, solle im nächsten halben Jahr der wichtigste Schwerpunkt sein. »Mit dem Ratsvorsitz hat Deutschland die Chance, einen neuen Aufbruch in der europäischen Klimapolitik einzuleiten«, heißt es in der Stellungnahme, die die Nationalakademie Leopoldina gemeinsam mit der Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften vorlegte.

Damit die Bundesregierung diese Chance nutzen kann, empfiehlt das Papier, die europäische Energiewende voranzubringen und eine allgemeine CO2-Bepreisung als »Leitin-strument für den Klimaschutz« zu etablieren. Zudem sollten die enormen Finanzmittel, die über die nächsten Jahre zur Bewältigung der Coronakrise mobilisiert werden müssen, im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens eingesetzt werden. Heutige Entscheidungen hätten oft Folgen für viele Jahrzehnte. »Deshalb kommt es jetzt darauf an, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die entscheidenden Weichen zu stellen«, so die Forschenden. Klimaschutz sei nicht nur ein »Luxusproblem« von Wenigen, sondern eine dringende Menschheitsaufgabe.

Das dem »nd« vorliegende Arbeitsprogramm für den deutschen EU-Ratsvorsitz, das die Bundesregierung an diesem Dienstag veröffentlicht, lässt eine solche Dringlichkeit nicht erkennen. Klimaschutz wird zwar als ein Schwerpunkt genannt. Doch was genau das bedeuten soll, bleibt in dem 25-seitigen Papier äußerst vage. So will die Bundesregierung im Rat lediglich darüber »diskutieren«, die CO2-Bepreisung auf alle Sektoren auszuweiten und im Rahmen des EU-Emissionshandels eine »moderate Mindestbepreisung« einzuführen. Das ist alles andere als ein konkretes politisches Projekt.

Ähnliches gilt für den Green Deal. Das zentrale Klimaschutzvorhaben der EU-Kommission wird zwar als »umfassende und ambitionierte Strategie« gelobt. Von einem Vorantreiben der umfangreichen Vorhaben ist aber keine Rede. »Wir werden die Implementierung des Grünen Deals umfassend begleiten«, heißt es lapidar.

Genauso bei der Bewältigung der Corona-Pandemie: Diese soll »nachhaltig und inklusiv« geschehen, kündigt die Bundesregierung an. »Allerdings wird trotz schöner Worte nicht nachprüfbar sichergestellt, dass mit EU-Geld geförderte Investitionen nach der Coronakrise auch mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit kompatibel sind«, kritisiert Christoph Bals von der Entwicklungsorganisation Germanwatch. »Wenn - sicher für lange Zeit zum letzten Mal - so viel öffentliches Geld ausgegeben wird, sind klare klimabezogene Prüfanforderungen an öffentliche Investitionen unerlässlich.«

Auch bei den beiden wichtigsten Klimaschutzvorhaben, die im kommenden halben Jahr auf der EU-Agenda stehen, bleibt die Regierung unkonkret. Man wolle »darauf hinarbeiten«, die Beratungen des Entwurfs eines europäischen Klimagesetzes »im Rat abzuschließen«. Der von der Kommission im März vorgelegte Entwurf soll das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 verbindlich verankern. Dass dabei auch ein Mechanismus vorgesehen ist, die verpflichtenden Emissionsreduktionen ab 2030 nachzuschärfen, erwähnt das Arbeitsprogramm nicht.

Bei der Anhebung des EU-Klimaziels für 2030, die wegen der Vorgaben des Pariser Weltklimaabkommens eigentlich noch in diesem Jahr erfolgen muss, bezieht die Bundesregierung keine klare Position. Sie »begrüßt« lediglich, dass die Kommission einen Vorschlag angekündigt hat, das Ziel (von aktuell 40 Prozent) auf 50 bis 55 Prozent anzuheben. Allerdings weist das Arbeitsprogramm gleich zweimal darauf hin, dass die europäische Wettbewerbsfähigkeit dabei berücksichtigt werden muss. Das klingt nicht danach, als wolle die Bundesregierung mit aller Kraft für ein 55-Prozent-Ziel kämpfen wollen. Dabei wäre sogar ein 60-Prozent-Ziel machbar, wie zahlreiche Studien zeigen. »Nur dann können wir die Klimaziele erreichen«, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Nur bei einem Klimathema geht die Bundesregierung über das hinaus, was im Arbeitsprogramm der EU-Kommission bereits festgelegt ist: die »sichere und zukunftsfähige Versorgung mit CO2-neutralen und vorzugsweise CO2-freien Gasen - wie insbesondere Wasserstoff aus erneuerbaren Energien«. Kritiker befürchten, dass damit vor allem die Erdgaswirtschaft gefördert wird. Die von den Nationalakademien geforderte Weichenstellung sieht jedenfalls anders aus.

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