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  • Sommerschulen-Programm

Blöd, aber okay

Über 11 000 Berliner Kinder und Jugendliche nehmen am Sommerschulen-Programm teil

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Berliner Nachhilfeprogramm »Sommerschule 2020« sei eine »Wahnsinnsleistung«: Gleich zwei Mal hebt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Ausdruck hervor, als sie am Mittwochmittag an der Wilma-Rudolph-Oberschule in Steglitz-Zehlendorf öffentlichkeitswirksam eine der über 1000 berlinweit gebildeten Sommerschulen-Lerngruppen besucht.

Wie berichtet, sollen mit der kostenfreien Nachhilfe jene Schüler der Klassenstufen 1 und 2 sowie 7 bis 9 erreicht werden, bei denen die Zeit der coronabedingten Schulschließungen größere Lernlücken hinterlassen haben. Immerhin fast 11 500 Kinder und Jugendliche möchten das Angebot wahrnehmen. Angemeldet wurden sie von ihren Klassenlehrern oder Eltern. Am Montag ging für die ersten Lerngruppen der Unterricht los.

Mit der »Wahnsinnsleistung« bezieht sich Scheeres auf die knapp eineinhalb Monate, in denen die Senatsbildungsverwaltung zusammen mit den Schulen und freien Trägern das Zwölf-Millionen-Euro-Programm auf die Beine gestellt hätten. »Innerhalb kürzester Zeit« habe man geschafft, »wofür man sonst ein halbes Jahr braucht«, so Scheeres. Auch Ulrike Becker, in der Bildungsverwaltung für die Sommerschulen zuständig, ist zufrieden. »Das ist toll, dass das in der kurzen Zeit geklappt hat«, sagt Becker zu »nd«.

Realisiert werden die Sommerschulen in den nächsten sechs Wochen von sogenannten freien Trägern der ergänzenden Lernförderung. Dass zuletzt einige der rund 30 Anbieter die Bildungsverwaltung für die Vertrags- und Abrechnungsmodalitäten kritisierten, quittiert die Senatorin am Mittwoch mit dem Hinweis darauf, dass es »etwas völlig Normales« sei, dass es angesichts des straffen Zeitplans »an der einen oder anderen Stelle« auch mal hake. Und überhaupt: »Es waren ja auch nicht alle Anbieter, die da eine Welle gemacht haben.«

Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass Scheeres’ Pressestelle für die Vorstellung des Programms ausgerechnet die Wilma-Rudolph-Oberschule im beschaulich grünen Zehlendorfer Ortsteil Dahlem ausgesucht hat. Denn als der Sommerschulen-Plan im Mai erstmals publik wurde, hatte die Opposition im Abgeordnetenhaus zunächst herumgemosert, dass der Senat das Programm nur für Kinder anbiete, »die in ›Armut‹ aufwachsen«. Das, so hieß es in einer Erklärung der FDP weiter, zeige mal wieder, dass das Verhalten von Rot-Rot-Grün »von Vorurteilen geprägt und ideologisch getrieben« sei.

Dass die Liberalen das Wort »Armut« in Anführungszeichen gesetzt haben - geschenkt. Tatsächlich sah sich die Bildungsverwaltung aber gezwungen, kurz darauf klarzustellen, dass sich das Angebot an alle Schüler mit Lernlücken richte, also beispielsweise auch jene, die »während der Schließungen eine pubertäre Schulunlust mit oppositionellem Verhalten ausgeprägt hatten«.

Klar ist: Hier an der Wilma-Rudolph-Schule hält sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen in Grenzen, deren Eltern so wenig verdienen, dass sie unter anderem von der Zahlung des Eigenanteils bei Lernmitteln befreit sind. Auch die Senatorin betont bei dem Termin, dass Dahlem nicht Neukölln ist. Die Botschaft des Pressetermins an der Rudolph-Oberschule: Das Sommerschulen-Programm sei eben »nicht nur für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler« gedacht, »sondern für alle«.

Die neun Kinder einer der Lerngruppen der Rudolph-Schule schauen zunächst etwas verdattert, als im Anschluss an Scheeres’ Ausführungen die versammelte Medienmeute in ihren Klassenraum stürmt. Der 13-jährige Okowo, der bald in die 8. Klasse kommt, berichtet, dass ihn seine Eltern angemeldet haben. Er habe viel Lernstoff während der Schulschließungen verpasst, »weil das alles so durcheinander war«. Ähnlich geht es der gleichaltrigen Sophie. Auch sie wurde von ihrer Mutter für die Sommerschule angemeldet. Mathe, Biologie, Englisch - in den Fächern lief es zuletzt nicht so richtig rund.

Die Leiterin der Rudolph-Schule, Maria Kottrup, sagt, dass es in manchen Fällen »schwierig« gewesen sei, »die Kinder zu erreichen«. Für Kottrup steht außer Frage, »dass die Sommerschule das Richtige ist nach dieser Zeit der Schulschließungen«, da die Lernrückstände der Schüler so etwas kompensiert werden können.

Die Teilnahme an dem Programm ist zwar freiwillig. Aber was heißt das schon, wenn man von den Eltern angemeldet wird? »Es ist schon echt blöd, dass man nicht so richtig Ferien hat, aber schon auch okay«, sagt dazu die Fast-Achtklässlerin Sophie. Auch Okowo erzählt, dass er erst einmal schlucken musste, als es hieß, er müsse in den Sommerferien in die Schule. »Ich hatte erst keinen Bock.« Jetzt aber finde er das Angebot »richtig gut«, zumal es »entspannter ist als normale Schule.«

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