Kontroverse über koloniales Erbe

BVG will Station Mohrenstraße in Glinkastraße umbenennen – neue Debatte entfacht

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ziehen Konsequenzen aus der antirassistischen Kritik an der Benennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in Mitte. »Aus Verständnis und Respekt für die teils kontroverse Debatte um den Straßennamen hat die BVG sich nun entschieden, ihn nicht weiter für die Benennung des U-Bahnhofs zu verwenden«, heißt es in einer Pressemitteilung des landeseigenen Unternehmens. Der U-Bahnhof in Mitte heißt seit 1991 so – zuvor hieß die Station Otto-Grotewohl-Straße, davor Thälmannplatz. Die BVG teilte mit: »Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab.« Das Verkehrsunternehmen steht nach eigenen Angaben nun in weiterem Austausch mit beteiligten Behörden. Der Zeitpunkt der Umbenennung werde rechtzeitig bekanntgegeben, heißt es.

Bei den Berliner Grünen wurde die Nachricht nach Bekanntwerden begrüßt. »Die Umbenennung des U-Bahnhofs war höchste Zeit!«, erklärte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Antje Kapek. Der Name sei »einfach unerträglich, rassistisch und diskriminierend«. Kapek: »Gut, dass er nun von den U-Bahn-Plänen der Bundeshauptstadt verschwindet.« Jetzt müsse aber auch noch die eigentliche »M*Straße« umbenannt werden. Von »M*Straße« sprechen antirassistische Akivistinnen und Aktivisten, weil sie die rassistische Schmähung »Mohren« nicht vollständig aussprechen wollen. Schwarze Aktivisten kritisieren die Benennung des U-Bahnhofs und der gleichnamigen Straße in Mitte seit langer Zeit. Die Grünen wünschen sich für die Umbenennung einen gemeinsamen, partizipativen Prozess mit dem Bezirk Mitte und dem Bündnis Decolonize Berlin.

Tausende gegen Rassismus
Fast 2000 Menschen haben am Samstag in Berlin gegen Rassismus, Diskriminierung und Polizeigewalt demonstriert. Unter dem Motto »Nein zu Rassismus« zogen laut Polizei insgesamt rund 1800 Demonstranten am Nachmittag vom Gendarmenmarkt zum Großen Stern. Einige Teilnehmer hielten Plakate unter anderem mit Aufschriften wie »Rassismus tötet überall« in die Höhe. Vereinzelt waren auch Slogans gegen Polizeigewalt auf den Transparenten zu sehen. Der Aufzug war von einer Menschenrechtsaktivistin aus Berlin allein über ein soziales Netzwerk organisiert worden. Eine große Mehrheit trug Mund-Nasen-Bedeckungen. Gegen 15 Uhr zogen die Demonstranten auf der Straße des 17. Juni in Richtung Siegessäule. Zeitgleich gab es auf dem Pariser Platz vor der US-Botschaft eine Kundgebung unter dem Titel »Black Lives Matter«, an der rund 100 Menschen teilnahmen. dpa/nd

Bei der Initiative, die sich seit einigen Jahren kritisch mit der kolonialen Geschichte Berlins auseinandersetzt, wird der Vorstoß der BVG zwar insofern positiv gesehen, weil das Unternehmen damit anerkennt, dass das »M-Wort« schwarze Menschen diskriminiert und darüber hinaus klarmacht, dass Rassismus im öffentlichen Raum nicht zu akzeptieren sei.
Dass die Verkehrsbetriebe aber einfach den Bahnhof nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka (1804-1857) benennen wollen – den Namen Glinkas trägt eine an den U-Bahnhof angrenzende Straße –, wird vom Bündnis Decolonize Berlin scharf kritisiert. »Damit würde die BVG den kolonialhistorischen Bezug des Ortes auslöschen und ihre Chance für die Ehrung einer Persönlichkeit afrikanischer Herkunft im Berliner Stadtbild bewusst ausschlagen«, heißt es einer am Wochenende verbreiteten Presseerklärung.

Das Bündnis Decolonize Berlin fordert bereits länger, dass die umstrittene Straße und der gleichnamige U-Bahnhof nach Anton Wilhelm Amo benannt werden. Amo war einer schwarzer promovierter Philosophen, der Anfang des 18. Jahrhunderts forschte.
»Gemeinsam mit dem Bezirk und den von Rassismus Betroffenen sollte sich der Senat bei der BVG für eine gleichzeitige Umbenennung der Straße und des U-Bahnhofs in Würdigung von Amos einsetzen«, sagte Tahir Della, Vorstandsmitglied des Bündnisses.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal