Wurzel einer Erbfeindschaft

Vor 150 Jahren begann der Deutsch-Französische Krieg - ein überwundenes Kapitel Geschichte

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein selbstverständliches und vertrautes Bild: der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im intensiven Gespräch. Die Chemie scheint zwischen beiden, trotz einiger politischer Differenzen, zu stimmen. Das war dereinst keine Selbstverständlichkeit zwischen Repräsentanten beider Länder. Andererseits soll sich durch die coronabedingten Grenzschließungen das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen wieder etwas getrübt haben.

1870 mündete die Rivalität zwischen der europäischen Hegemonialmacht Frankreich und dem »Aufsteiger«, dem von Preußen dominierten Norddeutschen Bund, in einen Krieg. Die militärische Konfrontation kam weder den Regierenden um den französischen Kaiser Napoleon III. noch dem Bundeskanzler Otto von Bismarck ungelegen. Letzterer sah in einem Krieg gegen Frankreich einen geeigneten Weg, die ins Stocken geratene Einigung Deutschlands zu voll᠆enden und dabei die preußische Vormachtstellung zu sichern.

Die Regierenden in Paris wollten die deutsche Einigung unbedingt verhindern und durch einen erfolgreichen Krieg ihr Regime wieder stabilisieren.

Den Anlass lieferte Spanien. Im Februar 1870 bot die spanische Regierung dem Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen die Krone an. Die Vorstellung, Frankreich könne künftig zwischen Preußen und Spanien strategisch in die Zange genommen werden, war für viele französische Politiker ein Albtraum. Prinz Leopold nahm das spanische Angebot an, doch am 12. Juli verzichtete dessen Vater, Fürst Karl Anton, im Namen seines Sohnes. Das war aber dem Außenminister Frankreichs, dem Herzog von Gramont, zu wenig. Er beauftragte den Botschafter Benedetti, vom preußischen König Wilhelm I. die bestimmte Erklärung zu verlangen, auch in Zukunft niemals einer Hohenzollernschen Kandidatur auf den spanischen Thron zuzustimmen. Der König, der sich gerade im Kurort Bad Ems aufhielt, lehnte diese Forderung am 13. Juli ab.

König Wilhelm informierte Bismarck durch ein Telegramm. Doch Bismarck gab dieser »Emser Depesche« durch geschickte Kürzungen und Umstellungen eine solche Fassung, dass sie für die französische Regierung einen beleidigenden Sinn erhielt. Daraufhin erklärte Paris am 19. Juli dem Norddeutschen Bund den Krieg.

Die französische Armee stand seit den Kriegen Napoleons I. in legendärem Ansehen, und so rechnete man 1870 nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa mit einem Sieg. Doch Anfang August zeigte sich, dass der preußische Generalstab den Aufmarsch der Truppen des Norddeutschen Bundes sowie der an ihrer Seite stehenden bayerischen, badischen und württembergischen Einheiten perfekt organisiert hatte, während auf französischer Seite etliche Pannen passierten.

Den 300 000 französischen Soldaten standen 520 000 deutsche gegenüber. Die französischen Truppen besaßen das Chassepot-Gewehr, das mehr als doppelt so weit schoss wie das preußische Zündnadelgewehr. Die deutsche Artillerie aber verfügte über die besseren Geschütze und die wirksamere Munition, und sie wurde offensiv eingesetzt. Zwischen dem 6. August und 1. September fanden sechs große Schlachten statt, in denen zwar beide Seiten schwere Verluste erlitten, die aber von den Deutschen jeweils gewonnen wurden.

Am 19. August wurde die eine der beiden französischen Armeen in der Festung Metz eingeschlossen, am 2. September die andere bei Sedan gefangen genommen. Damit war der Krieg militärisch entschieden. Am 3. September wurde Kaiser Napoleon III., der bei Sedan in Gefangenschaft geraten war, gestürzt und in Paris die Republik proklamiert. Die republikanische Regierung führte den Krieg als Volkskrieg weiter, musste aber schließlich am 26. Februar 1871 den Vorfrieden von Versailles schließen. Das besiegte Frankreich musste das Elsass und den östlichen Teil Lothringens abtreten und eine Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Francs zahlen.

Der Sieg über Frankreich brach den Widerstand gegen die nationalstaatliche Einigung Deutschlands. Bei Kriegsbeginn hatte sich in Deutschland eine machtvolle Welle des Patriotismus gebildet. Sie war besonders stark in Süddeutschland, wo es bis dato viele Vorbehalte gegen eine Reichseinigung unter preußischer Dominanz gegeben hatte. Zur Jahreswende 1870/71 wurde dann das Deutsche Kaiserreich gegründet.

Im Anschluss war die Mehrheit der französischen Politiker auf Revanche fixiert, während sich im neuen Kaiserreich unter hohen Militärs eine Hybris und extreme Risikobereitschaft breitmachten.

Insbesondere zwischen 1871 und 1945 sprachen und schrieben nationalistische deutsche Politiker und Autoren immer wieder von einer deutsch-französischen »Erbfeindschaft«. Erst nach 1945 gelang es, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Konrad Adenauer, seit 1949 Bundeskanzler, strebte die Westintegration der Bundesrepublik an. Diese setzte die Aussöhnung mit Frankreich voraus. Sie ist Adenauer gemeinsam mit Charles de Gaulle, der seit 1958 regierte und mit Adenauer persönlich befreundet war, gelungen. 1963 unterzeichneten beide einen Freundschaftsvertrag. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges war ein solcher natürlich nur zwischen Frankreich und der BRD möglich.

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