Die BVG braucht in Mitte Orientierungshilfe

Debatte um U-Bahnhof Mohrenstraße verlangt neben raschem Handeln kritische Inventur aller Straßennamen

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Erleichterung wurde in Berlin der Verzicht der BVG aufgenommen, die U-Bahnstation Mohrenstraße in Mitte in Glinkastraße umzubenennen. Freilich wird damit vorerst weiterhin der bisherige, von Initiativen, Parteien und vielen Bürgern als rassistisch und diskriminierend scharf kritisierte Straßenname verwendet.

Das landeseigene Verkehrsunternehmen hatte, nachdem die »Black Lives Matter«-Proteste die langjährige Debatte neu belebt hatten, am 3. Juli eine schnelle Umbenennung der Station angekündigt. Doch der Namenspate dieser angrenzenden Straße, der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka (1804-1857), war offenbar Antisemit.

Nachdem Wirtschaftssenatorin Ra᠆mona Pop (Grüne) am Vortag vor »Schnellschüssen« gewarnt und sich stattdessen für ein »offenes Verfahren« unter Beteiligung von Verbänden, Initiativen und Anrainern ausgesprochen hatte, meldete am Mittwoch das Bündnis Decolonize Berlin dringenden Handlungsbedarf an. In einer Pressemitteilung sprach das Bündnis mit Blick auf die Namens-Kontroverse von einem »BVG-Debakel«, dem nun endlich Aufarbeitung und Solidarität statt Verdrängung und Vergessen folgen müssten.

BVG-Sprecherin Petra Nelken räumte gegenüber »nd« ein, dass das Unternehmen mit der angekündigten Umbenennung etwas zu naiv gehandelt habe. »Wir wollten vor allem den Namen Mohrenstraße loswerden, das war unser vordringlicher Beweggrund«, sagte sie. »Wenn Menschen durch Bezeichnungen gekränkt werden und wir das ändern können, sollten wir das tun.« Es gebe eine Glinkastraße, und oberstes Prinzip bei der Wahl der Stationsbezeichnung sei, Fahrgästen eine geografische Orientierung zu geben.

Die BVG-Sprecherin verwies darauf, dass für die Benennung von Straßen und Plätzen das jeweilige Bezirksamt zuständig sei. Im betreffenden Gebiet von Mitte fehle es an Alternativen, die von vornherein konfliktfrei scheinen, sagte sie mit Blick auf Mauer-, Wilhelm- und Kronenstraße oder den Zietenplatz.

Decolonize Berlin schlug der BVG vor, gemeinsam »für die U-Bahnhöfe Afrikanische Straße und M*straße erinnerungskulturelle Nutzungskonzepte« zu erarbeiten, um die anstehenden »Straßenumbenennungen in Berlin-Mitte (Petersallee, Nachtigalplatz, Lüderitzstraße und M*straße) angemessen zu thematisieren«.

»Wir sind offen für Diskussionen um die Namensgebung, müssen uns dabei aber an den örtlichen Gegebenheiten orientieren«, so Petra Nelken. Man habe noch etwas Zeit, um gemeinsam eine Lösung zu finden, die allen gerecht werde. Bis zum Fahrplanwechsel und zur Eröffnung der U-Bahnlinie U5 werde ohnehin »das gesamte System noch einmal angefasst«. Die BVG werde an der Station auf einer Tafel über die Hintergründe der Kontroverse um den Namen informieren.

Auf nd-Anfrage teilte das zuständige Bezirksamt Mitte mit, dass man einer Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung folgend noch 2020 eine öffentliche Präsentation einrichten werde. »Information ist selbstverständlicher Teil des partizipativen Prozesses, der nach dem Verständnis des Bezirks Mitte jeder Straßenumbenennung vorausgehen muss«, teilte ein Mitarbeiter mit. Die Hürden für eine Umbenennung seien allerdings nach dem Berliner Straßengesetz hoch.

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