Zwischen Wut und Erlösung

Nürnbergs Fußballer feiern nach einer desaströsen Saison gegen Ingolstadt den späten Klassenerhalt

Als der Nürnberger Mannschaftsbus am Sonnabend kurz vor 23 Uhr am Vereinsgelände ankam, kochten die Emotionen noch mal hoch. Dutzende FCN-Anhänger, die am Valznerweiher gewartet hatten, feierten den dank eines Tors in der 96. Minute zustande gekommenen Klassenerhalt mit Sprechchören und roten Bengalfackeln. Andere wiederum schrien den Spielern ihre Wut über eine völlig verkorkste Saison entgegen. Zusammen mit den Fans zu feiern trauten sich die Spieler angesichts dieser Gemengelage jedenfalls nicht. Sie blieben im Bus.

Dabei hatte am Nachmittag lange Zeit nichts darauf hingedeutet, dass der Zweitligist den 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel noch mal verspielen und bis zur sechsten Minute der Nachspielzeit 0:3 zurückliegen könnte. Ruhig und souverän hatten die Franken auch im Rückspiel den ersten Durchgang gegen eine Ingolstädter Mannschaft heruntergespielt, der außer langen Bällen auf Stürmer Stefan Kutschke nichts einzufallen schien. Über 60 Prozent Ballbesitz zur Halbzeit standen beim Gast zu Buche. Doch dann drehte der FCI auf und erzielte binnen 13 Minuten drei Tore durch Kutschke (53.), Tobias Schröck (62.) und Robin Krauße (66.), bei denen der Club so miserabel verteidigte wie schon so oft in der zurückliegenden Saison. 0:3 stand es plötzlich - ein Spielstand, bei dem der FC Ingolstadt künftig Zweitligist gewesen wäre.

So manchem Nürnberger Fan dürfte derweil das in der Saison 1968/1969 geprägte Bonmot »der Club is a Depp« in den Sinn gekommen sein. Damals schaffte es der FCN als amtierender Deutscher Meister in der darauffolgenden Saison abzusteigen. Nun deutete alles darauf hin, dass man von der ersten in die dritte Liga durchgereicht werden würde. Dass es schließlich doch noch anders kam, lag an der langen Nachspielzeit, die Schiedsrichter Christian Dingert etwas überraschend anzeigte. Und daran, dass Joker Fabian Schleusener am Ende tatsächlich noch den Ball zum 3:1-Endstand über die Linie drückte. Kurz darauf war Schluss, worauf sich Spieler aus beiden Lagern kurz, aber sehr intensiv die Meinung sagten und Ingolstadts Trainer Tomas Oral die Gelbe Karte sah - er dürfte Dingert etwas massiver die Nachspielzeit vorgehalten haben. »Einfach pervers«, fand Oral jedenfalls den Spielverlauf. Der Schiedsrichter habe die Partie entschieden, meinte er vorwurfsvoll.

»Wir sind am Ende All-In gegangen und dann glücklicherweise belohnt worden«, freute sich hingegen Nürnbergs Interimscoach Michael Wiesinger, der zurecht betonte, sein Team sei in der Relegation insgesamt das bessere Team gewesen. Doch auch er mahnte ähnlich wie die Nürnberger Journalisten und die Fans eine kritische Aufarbeitung der letzten zwölf Monate an: Man müsse »die Saison kritisch analysieren«.

Das ist tatsächlich dringend vonnöten. Denn während man in Ingolstadt einigermaßen gefasst den nächsten Anlauf zum Zweitligaaufstieg angehen kann, stehen dem Club trotz des glimpflichen Endes harte Diskussionen und Personalentscheidungen bevor. Wiesinger wird in seinen Job als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums zurückkehren, nach einem Nachfolger als Cheftrainer wird gefahndet. Vor allem aber gehört die kostspielige und krachend gescheiterte Transferpolitik des seit einem Jahr amtierenden Managers Robert Palikuca auf den Prüfstand.

Wie im Hinspiel hatte Wiesinger auch in Ingolstadt vor allem auf Akteure gesetzt, die schon länger in Nürnberg sind. Von Palikuca verpflichtete Spieler wie Oliver Sorg, Nikola Dovedan, Michael Frey, Johannes Geis oder Philipp Heise blieben hingegen auf der Bank. Ein ebenso deutliches Signal wie die Tatsache, dass Wiesinger in den knapp zwei Wochen seiner Amtszeit mehr richtige Entscheidungen traf als die von Palikuca geholten Vorgänger Damir Canadi und Jens Keller. Dem Vernehmen nach hatte der Club auch bereits vor Wochen seine Fühler nach dem ehemaligen Manager des Hamburger SV, Ralf Becker, ausgestreckt, der inzwischen aber bei Zweitligaabsteiger Dynamo Dresden unterschrieben hat. Palikucas Tage am Valznerweiher dürften dennoch gezählt sein.

Was am Sonnabend alles auf dem Spiel gestanden hatte, fasste Wiesinger dann noch einmal in einem Fernsehinterview zusammen, das er unter Tränen abbrach: »Es geht ja nicht nur hier um die Relegation, da geht es um Jobs, da geht es um die kleinen Leute. Der Club ist schon ein Konstrukt mit vielen Leuten. Für die freut es mich am meisten.«

Tatsächlich hatten auf der Geschäftsstelle und im Nachwuchsbereich Dutzende Angestellte um ihren Job gebangt. Auch sie werden nun fragen, wer die Schuld dafür trägt, dass ein Aufstiegsaspirant so lange fürchten musste, in die dritte Liga durchgereicht zu werden. Die Stimmung in Verein und Umfeld brachte dann auch noch am Abend ein Twitter-Post zum Ausdruck: »Einen Tag feiern. Danach im Verein aufräumen. So eine Saison darf nie wieder passieren«, schrieb »Clubberer 2104«.

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