Werbung

»Ausländer im eigenen Land«

Der mexikanische Fußball-Schiedsrichter Adalid Maganda wurde schon oft Opfer von Rassismus. Irgendwann begann er sich zu wehren - mit Erfolg

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine Szene vor dem Pokalspiel von Cruz Azul gegen Deportivo Toluca in der vergangenen Woche in Mexiko-Stadt sorgte für mehr Aufregung als die Partie selbst. Vor dem Anpfiff kniete Schiedsrichter Adalid Maganda in Referenz an die Black-Lives-Matter-Bewegung auf dem Rasen nieder. Zahlreiche mexikanische Medien berichteten über dieses Zeichen gegen Rassismus. Der 36-Jährige ist der einzige schwarze Schiedsrichter in Mexikos höchster Fußballliga - und selbst immer wieder Objekt rassistischer Anfeindungen.

»Ich habe mit Adalid gesprochen. Die Entscheidung zu der Geste kam auf eigene Initiative«, erzählte Wilner Metelus, Präsident des Bürgerkomitees für die Verteidigung eingebürgerter und afromexikanischer Staatsbürger und ein Freund Magandas. »Er war mehrfach Opfer von Rassismus.« Metelus rief auch den mexikanischen Fußballverband FMF auf, Magandas Aktion zu respektieren und zu unterstützen. Er hoffe, dass sie dazu beitrage, sowohl die Manager als auch Spieler und Fans zum Nachdenken über Rassismus im Fußball zu bewegen. Gleichzeitig beklagte Metelus, dass es von Seiten schwarzer Spieler in Mexiko, anders als beispielsweise in England oder Deutschland, kein öffentliches Zeichen nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in den USA gegeben habe. »In der mexikanischen Liga gibt es viele afrostämmige Brüder, die Opfer von Rassismus geworden sind, wenn sie angeschrien oder mit Affengeräuschen bedacht werden«, so Metelus. Die Spieler in Europa oder den USA seien aber solidarischer. »In Mexiko mangelt es an Aufklärungsarbeit zu Diskriminierung und der Beteiligung der Manager, um eine Kampagne gegen Rassismus angemessen zu fördern.«

Die Bitte um einen Kommentar zu Magandas Geste und Programmen gegen Rassismus ließ Mexikos Fußballverband unbeantwortet. Eine Interviewanfrage an den Schiedsrichter lehnte der FMF mit Verweis auf die Regularien des Weltverbandes ab.

Maganda, der aus dem südmexikanischen Bundesstaat Guerrero stammt und einen Abschluss in Unternehmensführung hat, begann seine Schiedsrichterkarriere als 17-Jähriger. Er durchlief alle Spielklassen. Immer wieder musste er dabei rassistische Ausfälle und Anfeindungen ertragen. »In der dritten Liga wurde ich in den Stadien angeschrien: ›Verdammter Neger, verwarne ihn richtig!‹«, erzählte er einmal in einem Zeitungsinterview. In seiner Debütsaison in der ersten Liga im Jahr 2015 machten einige Fußballer von Pachuca, als Maganda vor der Partie gegen CF Atlante in ihrer Kabine die Spielkleidung überprüfte, »sehr seltsame Geräusche, als wären sie Schimpansen. Sie beleidigten mich. Dabei dachte ich, dass es anders sein würde als im Amateurbereich, als ich zu den Profis kam.«

Laut Nationalem Institut für Statistik und Geografie ist einer von 100 Mexikanern afrostämmig. Das sind immerhin rund 1,4 Millionen Einwohner. Jedes Mal aber, wenn Maganda in Mexiko am Flughafen ankommt, wird er auf Englisch angesprochen. An die erstaunte Frage: »Ach, Sie sind Mexikaner?«, hat er sich mittlerweile gewöhnt.

Nicht immer wird Maganda diese Frage so harmlos gestellt. Vor zwei Jahren, er hatte gerade ein Taxi in der Nähe seines Hauses in Ecatepec bestiegen, einer der unsichersten Gegenden am Stadtrand von Mexiko-Stadt, da versperrte plötzlich ein anderes Auto den Weg. Zwei bewaffnete Männer stiegen aus und fragten ihn nach seinem Ausweis. Er sei kein Mexikaner, so die Männer. »Du hast Dich in die Scheiße geritten wegen Dokumentenfälschung, du verdammter Scheißkolumbianer.« Als Maganda sich wehrte, schlugen sie ihn und legten ihm Handschellen an. Damit sie ihn schließlich gehen ließen, musste er die mexikanische Nationalhymne singen. Bis heute weiß er nicht, ob es sich bei den beiden Männern um Polizisten handelte oder nicht. »In meinem eigenen Land fühle ich mich wie ein Ausländer«, so Maganda.

Irgendwann war er es leid, still zu halten. Nachdem der frühere Fifa-Schiedsrichter Arturo Brizio 2017 die Präsidentschaft der Schiedsrichterkommission des mexikanischen Verbandes übernahm, bekam Maganda immer weniger Einsätze in der ersten Liga - aus rassistischen Motiven, wie er beklagte. Als er seinen Vorgesetzten darauf ansprach, war die Antwort: »Was willst Du, verdammter Neger? Warum gehst Du nicht zurück nach Acapulco, zu den Booten?« Offenbar eine Aufforderung, Maganda solle nach Afrika auswandern. Brizio wies die Anschuldigungen zurück. Die Reduzierung der Einsätze habe Magandas Physis zu tun gehabt.

Der Schiedsrichter klagte im April 2018 gegen die in seinen Augen ungerechtfertigte Suspendierung. Nachdem gegen ihn entschieden worden war, trat er im November in einen Hungerstreik. Ein Jahr lang blieb Maganda ohne Einsätze, ehe der Verband ihm Anfang 2019 die Rückkehr erlaubte. Statt in der ersten Liga musste er aber zunächst erneut in unteren Spielklassen pfeifen.

Das Pokalspiel in der vergangenen Woche war Magandas erster Auftritt als Hauptschiedsrichter in Mexikos Elitefußball seit seiner Ausbootung. Und das ausgerechnet im Olympiastadion von Mexiko-Stadt, in dem die beiden Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos während der Olympischen Sommerspiele 1968 ihren ikonischen Antirassismusprotest durchführten, als die Medaillengewinner während der Siegerehrung des 200-Meter-Laufes ihre Fäuste in die Höhe reckten. Es ist bis heute eine der bekanntesten sportpolitischen Gesten, mit der US-Athleten gegen Rassendiskriminierung protestieren. Maganda nutzte den symbolisch aufgeladenen Ort nun für sein eigenes Statement gegen Rassismus.

Es könnte aber auch sein vorerst letzter Auftritt auf großer Fußballbühne gewesen sein. Anfang der Woche fiel er zusammen mit drei weiteren Schiedsrichtern beim Physistest für die am 23. Juli beginnende Erstligasaison durch. Anfang August soll es eine erneute Chance geben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal