Thailands Jugend erneut Vorreiter

Protestaktion gegen die Regierung im Bangkoker Stadtzentrum überraschte Politik und Sicherheitskräfte

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die ersten Menschen trafen gegen 17 Uhr Ortszeit auf dem Kreisverkehr am Democracy Monument ein, etwas später versuchten die Sicherheitskräfte vergeblich, den Zugang abzuriegeln. Es half nichts, die jungen Leute überwanden aufgestellte Hindernisse - und sie hielten stundenlang aus, erst gegen Mitternacht zerstreute sich die Menge.

Mehrere Hundert Protestierende waren es in jedem Fall, die sich da, schwarz gekleidet, versammelten, die Tageszeitung »Bangkok Post« sprach in einem aktualisierten Bericht vom Sonntag von etwa 1000 Menschen. Relativ einig sind sich die Berichterstatter trotz der ungenauen Zahlen, dass es die bislang größte Protestaktion seit dem unblutigen Putsch im Mai 2014 gewesen sein dürfte. Thailands akademische Jugend, schon seit Jahrzehnten politisiert und immer wieder an der Spitze von Volkserhebungen, hat damit einmal mehr die Führung bei Unmutsbekundungen mit den herrschenden Zuständen übernommen. Das Democracy Monument ist ein Wahrzeichen dafür im Stadtzentrum, steht primär in Erinnerung für den Blutzoll, den die damalige Studentenbewegung in den 1970er Jahren zu zahlen hatte, aber auch allgemein für demokratischen Widerstand gegen autoritäre Tendenzen.

So lautet auch der Vorwurf an die derzeitigen Regierenden. Premier Prayuth Chan-ocha war 2014 als damaliger Armeechef Anführer der Putschisten. Zwar hat sich das Regime inzwischen mit einer neuen Verfassung und den Wahlen vom März 2019 formell demokratische Legitimation verschafft. Im Parlament herrschte anfangs nahezu ein Patt, Prayuth und seine Anhänger konnten aber mehrere Kleinstparteien einbinden. Zuletzt war der Druck auf oppositionelle Kreise spürbar verstärkt worden. Als ein Vehikel dient, wie so oft, der breit auslegbare Paragraf zur »Majestätsbeleidigung«, dessen Abschaffung nun ebenfalls gefordert wurde. Ebenso wie ein echter Neuanfang durch Auflösung des Parlaments und eine Änderung der von den Ex-Putschisten erarbeiteten Verfassung von 2017.

Der Aufruf zur Protestaktion, getragen von der thailändischen Studentengewerkschaft und der Gruppe Freie Jugend, war in den sozialen Medien erfolgt, Politik und Sicherheitskräfte offenbar überrascht worden. Abseits kleinerer Rangeleien von Teilnehmenden und Polizisten blieb alles friedlich, die Polizeiführung lamentierte aber am Folgetag über das »illegale« Treiben. Tatsächlich hat seit der offiziellen Rückkehr zu bürgerlich-demokratischen Regularien im vorigen Jahr kaum jemand in so deutlichen Worten wie jetzt die Regierung angegriffen. Ihr wird neben den politischen Forderungen der studentischen Protestler*innen auch Versagen im Kampf gegen die ökonomischen Folgen der Coronakrise vorgeworfen.

Dass nun erneut die akademische Jugend zum Vorreiter wird, ist auch Ausdruck der Schwächung der parlamentarischen Opposition in jüngster Zeit. Die hatte unter anderem im Februar, als das Verfassungsgericht gegen die liberale Future Forward Party (FFP) urteilte, einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Die Partei, bei der Wahl noch drittstärkste Kraft, wurde zwangsaufgelöst, 16 führende Mitglieder mit einem zehnjährigen Politikverbot belegt. Auch in der bis 2014 regierenden Pheu Thai (PT) kriselt es.

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