Fruchtige Papierproduktion

Studenten der Uni Hannover wollen Zellulose aus Abfällen des Ananasanbaus herstellen. Für Costa Rica würde das mehrere Probleme lösen.

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Cochinilla heißt das lästige Insekt, das die Viehhalter im Norden Costa Ricas seit Jahren zur Verzweiflung bringt. Die blutsaugende Stechfliege (Stomoxys calcitrans) ist rund um die Ananasplantagen in der Region von Upala, Sarapiquí und Grecia besonders verbreitet. Das hat seinen Grund und der hat lange, harte und dornige Blätter und süße Früchte mit einer Krone: die Ananas.

In den Wurzelballen, aber auch den Blättern, vermehren sich die Insekten ideal, und darunter hat das Vieh der Bauern aus der Region zu leiden. Das Problem ist seit Jahren bekannt, einige der großen Plantagen pflügen Blätter und Wurzeln der Ananas mittlerweile unter. Doch eine innovative Idee von Student*innen der Leibniz Universität Hannover könnte nun eine nachhaltige Lösung bringen.

»Ananasblätter bieten einen immensen Vorteil gegenüber dem traditionellen Rohstoff der Papierindustrie, dem Baum. Sie enthalten deutlich weniger Lignin und viel Zellstoff«, erklärt Life-Science-Studentin Merit Ulmer. Lignin ist jene Substanz, die die Zellulosefasern im Holz verklebt und dem Holz so Festigkeit gibt. Das Biopolymer muss in einem chemischen Verfahren unter Druck mit Natriumsulfid, Natriumsulfat und Natronlauge gekocht werden, um das Lignin von der Zellulose abzuspalten. Das ist bei den dicken, dornigen Ananasblättern so nicht nötig, denn sie enthalten nur 4,2 Prozent Lignin, während es bei Bäumen je nach Holzart zwischen 22 und 32 Prozent sind.

»Deshalb haben wir ein deutlich weicheres und ökologischeres Verfahren im Labor entwickelt«, erklärt die 23-jährige Studentin, die gemeinsam mit Kommiliton*innen »Musa Fibra« gegründet hat. Das Start-up ist bereits mit Papier- und Kartonagenherstellern sowie Endverbrauchern im Gespräch, um das neue Verfahren für die industrielle Fertigung zu optimieren.

Bisher sind nur kleine Mengen Ananaszellulose im Labor für technische Chemie der Leibniz Universität produziert worden. Mit dem neuen Reaktor des Instituts soll sich das ändern. »Der kann die Mengen produzieren, die nötig sind, um eine abschließende Analyse für den industriellen Maßstab durchzuführen«, so Ulmer. Das ist eine Vorausetzung, um den nächsten Schritt auf den Weg zu bringen: die Pilotfabrik in Costa Rica. Die ist eigentlich für 2021 anvisiert. Ob sich der Termin halten lässt, hängt nicht zuletzt vom Verlauf der Pandemie und dem ersten Zellstoff aus dem Reaktor ab, der für die industrielle Analytik die Grundlage liefert. Ulmer ist von Beginn an bei »Musa Fibra« dabei. »2017 hat uns eine Dozentin auf die enormen Bioabfälle in der Bananenindustrie aufmerksam gemacht. «Damals ist die Idee der Zellstoffextraktion unter den beteiligten Enactus-Studenten entstanden», erinnert sich Ulmer. Enactus ist eine weltweit aktive Studenteninitiative, die sich für soziale Innovationen engagiert und so einen Beitrag zur Verwirklichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen leistet. «Musa Fibra» ist nur eines unter vielen Start-ups, die so entstanden sind, und wird in Hannover im Hafven Accelerator beraten und fit gemacht für den Sprung in die Selbstständigkeit. Das erleichtert die Kontakte zur Industrie, die beim für 2021 geplanten dritten Besuch in Costa Rica schon mit von der Partie sein soll. «Beim ersten Besuch 2018 haben wir schnell begriffen, dass aussortierte Bananen verfüttert werden und sich die Schalen und Stauden relativ einfach kompostieren lassen. Dann wurden wir auf die Probleme rund um die Ananas hingewiesen», so Ulmer.

Die harten Blätter, Kronen und Wurzeln verrotten langsam, sind nur schwer zu kompostieren, und hinzu kommt noch die lästige Stechfliege, die ihre Eier am Blattansatz der Ananaspflanzen ablegt, wo sich oft etwas Wasser sammelt. Also begannen die Studenten erste Zellstofftests mit der Ananas zu machen, und die Ergebnisse waren positiv. «Die Idee, aus einem Reststoff einen Rohstoff zu gewinnen, ist faszinierend und könnte dafür sorgen, dass weniger Bäume für die Papierproduktion gefällt werden», meint Ulmer. Kreislauf-Wirtschaft statt Ausbeutung der Ressourcen ist eines der Leitmotive von «Musa Fibra», die derzeit am neuen Logo und neuen Namen für das Start-up arbeiten, denn Musa steht für die Banane und muss noch durch die Ananas ersetzt werden. Parallel laufen die Kooperationsverhandlungen mit einer Bio-Ananas-Plantage im Norden Costa Ricas, wo auch die Pilotanlage entstehen soll.

Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, denn die Zellulosefasern der Ananas sind laut Laboranalyse etwas länger und weisen eventuell sogar Vorteile gegenüber Holz-Zellstoff auf. All das muss die industrielle Analyse noch bestätigten. Doch nicht nur Professor Thomas Scheper von der Leibniz Universität bescheinigt den Student*innen ein ausgereiftes Verfahren, auch die drei Gründerstipendien des Landes Niedersachsen für «Musa Fibra» zeugen davon. Natürlich ist das innovative Projekt durch die Pandemie etwas ins Stocken geraten, aber die industrielle Analytik soll in den nächsten Wochen auf den Weg gebracht werden. Dann könnte alles ganz schnell gehen.

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