nd-aktuell.de / 01.08.2020 / Politik / Seite 16

Der bestmögliche Verbündete

Was tun, wenn der Partner Rassismus erfährt, wenn sich die eigenen Großeltern in seiner Gegenwart über Geflüchtete auslassen? Das alles fordert eine Beziehung extrem heraus. Protokolle von Nadire Biskin

Nadire Biskin

Aref*, 30 Jahre alt:

Rassismus ist allgegenwärtig und war schon immer Teil meiner Lebensrealität. Wir alle sind in irgendeiner Form davon beeinflusst, sei es als Ausübender oder Betroffener. Mir als Muslim ist in Deutschland immer schon antimuslimischer Rassismus begegnet.

In meiner vorherigen Beziehung, in der auch mein Partner von Rassismus betroffen war, haben wir uns in solchen Situationen gegenseitig unterstützt. Mit einer weißen Person zusammen zu sein, bedeutet, dass das Thema weiterhin eine Rolle spielt, aber anders. Jonas ist nicht dazu gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Eine von Rassismus betroffene Person kann das nicht selbst entscheiden. Menschen, die Rassismus ausüben, entscheiden darüber.

Der größte Unterschied zwischen Rassismus in einer Liebesbeziehung und Rassismus anderswo ist, dass ich die Zeit und Energie in meinen Partner investiere, um darüber reden zu können, um ihn zum bestmöglichen Verbündeten zu machen, der er sein kann. Diese Zeit und Energie kann ich nicht jedem willkürlichen Erlebnis auf der Straße oder in den Medien widmen.

Weiße Freunde in unserem Umfeld haben das Gefühl, dass sie vor mir »Scherze« machen können, zum Beispiel über meine Kultur oder meine Sprechweise, und dass ich es ihnen nicht übel nehme. Ich kenne sie ja schließlich. Ich versuche, über solche Situationen immer mit Jonas zu sprechen. Warum muss ich das Thema ständig ansprechen, selbst auf die Gefahr hin, dafür verantwortlich gemacht zu werden, die Stimmung zu verderben? Als Alternative bleibt mir nur, zu schlucken und mitzulachen.

Einmal waren wir bei seiner Familie, und mir ist da sehr viel Rassismus begegnet, unter anderem gegen Geflüchtete. Als der Besuch vorbei war, ist mir aufgefallen, dass Jonas es ignoriert hat und nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Die Verantwortung lag ganz bei mir. Als ich ihn darauf ansprach, war zunächst Widerstand da. Er behauptete, den Rassismus nicht mitbekommen zu haben. Das hat zu einem Konflikt geführt, weil er sich nach meiner Auffassung damit aus der Verantwortung ziehen wollte. Die richtigen Schlüsse konnten wir erst nach diesem Konflikt ziehen. Daher würde ich auch sagen, dass Konflikte erst mal nichts Negatives sind, solange beide Seiten einen wohlwollenden und lösungsorientierten Ansatz verfolgen.

Bei seinem Vater hat Jonas einen längeren Prozess angestoßen, um den Rassismus zu thematisieren und diesen zu reflektieren, denn sein Vater ist uns beiden wichtig. Er setzt sich nun auch sehr viel kritisch mit dem Thema auseinander, auch weil es ihm wichtig ist, was ich mache und wie es mir in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft geht. Bei anderen Menschen in unserem Umfeld, wie zum Beispiel seinen Großeltern, ist es mir zu anstrengend und ihm und mir auch nicht wichtig genug, um so einen Prozess zu durchlaufen. Daher besuche ich sie auch kaum.

Kein schlechtes Gewissen

Ich habe das Gefühl, dass Jonas sich mehr und mehr mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Zum Beispiel habe ich ihm von dem antikolonialen Autor Frantz Fanon erzählt und warum er so eine wichtige Figur für mich ist. Er kannte ihn nicht. Einige Tage später hat er sich Bücher von ihm bestellt, um mehr über ihn und seine Theorien zu lesen. Dann hat er immer mehr Texte von Schwarzen Schriftsteller*innen und Autor*innen of Color gelesen.

Wir haben noch nicht den idealen Weg gefunden, aber ein Großteil der Arbeit ist schon damit getan, dass ich das Thema überhaupt offen und konstruktiv ansprechen kann, ohne dass er gleich zumacht und es weit von sich weist. Das Wort und das Thema Rassismus bereitet Menschen immer Bauchschmerzen. Ich will kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn ich es anspreche, und ihm auch nicht das Gefühl geben, dass er ein schlechter Mensch ist. Es geht darum, gemeinsam in der Beziehung zu wachsen.

Jonas*, 24 Jahre alt:

Wir haben uns vor vier Jahren in London über eine Dating-App kennengelernt. Ich bin nicht von Rassismus betroffen, weil ich weiß bin. Es ist meine erste Beziehung, und sie ist auch ein Anstoß, mich mit dem Thema zu beschäftigen, weil ich durch Aref näher dran bin.

Wenn wir beide weiß wären und uns solidarisch gegenüber von Rassismus betroffenen Menschen zeigen würden, könnten wir das Thema trotzdem immer vor der Haustür ablegen und würden es nicht, bildlich gesprochen, mit ins Schlafzimmer tragen müssen. Das ist bei uns anders.

Ich kann mich erinnern, dass Aref mir zu Beginn unserer Beziehung von einer rassistischen Erfahrung erzählt hat, in der eine Frau ihn und eine Freundin angeschrien hat. Meine erste Reaktion war, zu fragen, ob sie psychisch krank war. Das hat Aref wütend gemacht. Für ihn war das eine Form von Verharmlosung. Auch ohne eine psychische Erkrankung kann man rassistische Sachen sagen, und nicht jeder psychisch Erkrankte äußert sich rassistisch. Dieses Gespräch hat mir geholfen, zu verstehen, wieso meine Reaktion verletzend war.

Einmal hat mein Vater einen dummen Kommentar über Arefs Namen gemacht, und dann habe ich ihm gesagt, wie sehr es mich ärgert, so was zu hören. Ich habe Aref erst mal nicht davon erzählt, weil ich nicht wollte, dass er sich deswegen aufregt. Mein Vater hat es angenommen und reflektiert. Es ist Arbeit, aber meine Eltern haben ein offenes Ohr, das hilft.

Mein Vater hat auch einmal einen Tweet meines Partners gelesen und sich angegriffen gefühlt, weil von weißen Menschen die Rede war. Ich habe dann ein Gespräch mit ihm geführt und Aref angeboten, meinem Vater eine Liste von Büchern zu schicken, die sich mit Rassismus beschäftigen.

Ein anderes Mal waren wir bei meinen Großeltern zu Besuch, und es wurden rassistische Sachen gesagt; mein Partner wurde einer Art Deutschtest unterzogen. »Kennst du das?«, fragten sie ihn ständig. Als wir zu Hause in London angekommen sind, hat mein Partner dann mit mir darüber gesprochen, wie die Situation für ihn war. Er sagte, er wünsche sich in solchen Momenten, dass ich eine deeskalierende und solidarische Unterstützung für ihn bin.

Die Situation mit meinen Großeltern ist besonders herausfordernd, da es schwierig ist, alte Menschen zu ändern. Dann ist eben die Frage: Was sind die Grenzen, die man in dem Kontext setzt, wo soll ich als Verbündeter einschreiten, und wo kann und will die betroffene Person selbst dagegenhalten?

Ich bin in verschiedenen Ländern aufgewachsen, hatte mit unterschiedlichen Leuten Kontakt. Daher war ich, glaube ich, nicht blind gegenüber Rassismen in weißen Communitys. Aber in der Schule lernt man nichts über strukturellen Rassismus oder den Einfluss, den Kolonialismus heutzutage noch hat - das Thema wird totgeschwiegen oder geleugnet.

Zuhören ist wichtig

Es braucht Zeit, um Strategien zu entwickeln und Kritik anzunehmen. Ich habe in erster Linie gelernt, wie wichtig Zuhören ist. Das Gespräch kann nur stattfinden, wenn Raum dafür gemacht wird - defensive Haltungen helfen nicht und verhindern nur den Dialog. Für mich war es eine Lernkurve, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu sehen, wie sehr es in der Gesellschaft und auch in meinem eigenen Denken verankert ist. Es ist quasi unmöglich, in einer rassistischen Gesellschaft komplett rassismusfrei zu denken.

Zu lernen, Rassismuskritik anzunehmen, war Teil meiner ersten Beziehung. Beides ist nun gleichzeitig passiert und schwer voneinander zu trennen. Natürlich bringe ich die Erfahrungen jetzt auch in andere Kontexte ein.

* Aref und Jonas sind Pseudonyme. Beide möchten anonym bleiben und nicht abgebildet werden, unter anderem weil sie sich nicht vor Arbeitgebern outen möchten.