Unerhört und verstörend

Wirksame Werbekritik: Adbusting

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein älteres Ehepaar bleibt bei seinem Spaziergang durch das Berliner Regierungsviertel verblüfft vor einem vermeintlichen Werbeplakat der Bundeswehr stehen. Das Format und die grafische Gestaltung stimmen auf den ersten Blick mit der Plakatserie überein, mit der die »Truppe« in den letzten Jahren verstärkt um neue Rekrut*innen wirbt. Doch die Aufschrift auf diesem verwirrt, irritiert. »Ausbeutung gewaltsam verteidigen. Ihre Bundeswehr« ist da zu lesen. Wenige Meter weiter das nächste Plakat - mit dem verstörenden Aufruf: »Neugier auf Morden? Komm zur Bundeswehr.« Spätestens jetzt ist sich das Ehepaar einig, dass es sich keineswegs um Werbung aus dem Verteidigungsministerium handeln kann.

Adbusting-Aktivist*innen haben wieder einmal zugeschlagen. Ihre Protestformen balancieren an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Werbung zu politischen Zwecken - ernste Botschaften werden mit Humor und Ironie verbunden. Ob diese Kombination im Einzelfall immer gelingt, liegt im Auge der Betrachter*innen.

Bisher stieß man auf Zeugnisse von Adbusting in der Regel auf der Straße, im öffentlichen Raum. Jetzt kann man sie auch zu Hause ausführlich betrachten. Unter dem Titel »Adbusting gegen die Gesamtscheiße« hat der Berlin Buster’s Social Club ein Buch herausgegeben, in dem zahlreiche solcher Werke dokumentiert sind. Eigentlich sollte die Book-Relaese-Party bereits Mitte März stattfinden, sie musste aber wegen des Corona-Lockdowns verschoben werden. Die Vorstellung des Bandes ist nun am Montag im Innenhof des Berliner Veranstaltungszentrums Mehringhof nachgeholt worden. Die Präsentation wurde vom Buchladen Schwarze Risse ausgerichtet, der dort seit 1980 kollektiv betrieben wird und eine wichtige Adresse für linke Literatur in der Hauptstadt ist. Die Vorstellung selbst erfolgte getreu den Prinzipien der Kommunikationsguerilla: mit Witz verknüpfte Aufklärung. Zwei Referenten schlüpfen in die Rollen von Vertretern des Staatsapparates, die sich auf einem Kongress über das zerstörerische Wirken der »Adbusting-Chaoten« beklagen.

Ausführlich wurde über deren Tätigkeitsfelder berichtet, anhand von Beispielen gezeigt, wie unter anderem sexistische Werbung aufgespießt wird. Auf dem Foto einer heilen Kleinfamilie in Deutschland ist über der Frau und Mutter in einer Sprechblase zu lesen: »Gut, dass ich diese Show nur fürs Bild ertragen muss.« Und immer wieder und offenbar besonders gern verfremden die Aktivist*innen offizielle Verlautbarungen von Bundespolizei und Bundesverfassungsschutz. So tauchten vor dem jährlich im Februar in Berlin stattfindenden Polizeikongress Plakate auf, mit denen den »Ordnungshütern« für »23 966 Abschiebungen« gedankt wird. Das Hauptaugenmerk der Adbusting-Aktionen liegt aber auf der Bundeswehr. Es scheint den Aktivist*innen ungemeine Freude zu bereiten, diese immer wieder zu karikieren.

Auch über die umfangreichen Versuche von Polizei und Staatsschutz, die Kommunikationsguerilla zu repressieren, wurde bei der Buchvorstellung berichtet. Überwachung von bestimmten Werbeplätzen gehört ebenso dazu wie die Überprüfung veränderter Plakate auf DNA-Spuren sowie Hausdurchsuchungen bei vermeintlichen Aktivist*innen. Adbusting wird zudem unter der Rubrik Linksextremismus im Verfassungsschutzbericht aufgelistet. Und Expert*innen, die auf »Terrorismusbekämpfung« spezialisiert sind, beschäftigten sich bereits mehrfach mit diesen Aktionsformen. Letztlich mussten Staatsbeamte jedoch bedauernd feststellen, dass ihre Maßnahmen nicht zum Ziel führten: Adbusting wurde immer populärer und breitete sich in den letzten Jahren in vielen Städten aus. Eine Information, die Anlass für großen Applaus im Publikum war.

Der Anspruch »veränderter Werbung als Gesellschaftskritik« wird in dem vorgestellten Band selbst beispielhaft eingelöst. Dabei wird auch selbstkritisch über die lange Geschichte des Adbustings berichtet, die die Herausgeber*innen bis in die Antike zurückverfolgen. Sie gehen auf Adbusting im antifaschistischen Kampf gegen die Nazi-Diktatur in Deutschland 1933 bis 1945 ein und fragen ebenso danach, ob Adbusting heute nicht Gefahr laufen könne, vom kapitalistischen, kommerzorientierten System als freche Werbung vereinnahmt zu werden.

Berlin Buster’s Social Club (Hg.): Unerhört! - Adbusting gegen die Gesamtscheiße. Veränderte Werbung als Gesellschaftskritik. Unrast, 135 S., br., 14 €.

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