nd-aktuell.de / 05.08.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 14

Beatmungsgeräte made in Kuba

Karibikinsel musste wegen der US-Sanktionen auf eigene Entwicklung setzen. Dies hat viele Vorteile

Andreas Knobloch, Havanna

Es ist etwas abgedroschen, aber deshalb nicht weniger wahr: Not macht erfinderisch. Wie so viele Länder stand auch Kuba zu Beginn der Corona-Pandemie vor der Herausforderung, für den Notfall ausreichend Beatmungsgeräte zu haben. Die US-Sanktionen machten die Beschaffung im Ausland unmöglich. Zwar verfügte die Karibikinsel pro Kopf über mehr solcher Geräte als beispielsweise Italien, »aber im März war unklar, wie sich die Epidemie entwickeln würde«, sagt Ernesto Velarde Reyes vom Zentrum für Neurowissenschaften in Havanna. »Als Vorsichtsmaßnahme wurden wir beauftragt, eigene Notbeatmungsgeräte herzustellen.« Das Problem: Velarde und sein achtköpfiges junges Team hatten »null Erfahrung« damit. In ihrem Forschungsalltag entwickeln sie Apparate und Software in Verbindung mit Neurowissenschaften.

»Wir haben erst einmal alle möglichen Informationen zusammengetragen«, erzählt der 40-jährige Projektleiter. »Es ging nicht nur darum, ein Beatmungsgerät herzustellen, sondern eines aus auf Kuba verfügbaren Mitteln und das schnell.« Den mechanischen Teil des Gerätes entwickelten sie auf Basis von Open-Source-Codes, die Forscher des Massachusetts Institute of Technology in den USA im Internet zur Verfügung stellten. »Wir haben unsere Elektronik, unsere Software und unser Design dazu gepackt und daraus Pcuvente (Proyecto Cubano de Ventilación de Emergencia) entwickelt«, sagt Velarde. Eine ganze Reihe weiterer Institutionen sei daran beteiligt gewesen: das Nationale Zentrum für Industriedesign, die Vereinigung der Militärindustrie, das Nationale Zentrum für Elektromedizin und selbst private Kleinunternehmer.

Velarde kramt den ersten Prototypen hervor. Der Motor stamme von einem Arbeiter auf eigene Rechnung, der sonst computergesteuerte Metallschneider herstelle. »Ich habe ihn über soziale Netzwerke kontaktiert und gemeint: ›Freund, ich benötige einen leistungsstarken Motor.‹« Motor und Regler für die Sauerstoffbeutel kosten zusammen rund 200 US-Dollar - in Kuba viel Geld. Ein Unternehmer, den Velarde persönlich nicht kannte, habe ihm einen Motor zur Verfügung gestellt. »Viele Dinge wurden auf diese Weise geregelt.«

Der überwiegende Teil der Komponenten wird auf Kuba hergestellt, Bildschirme und Prozessoren aber müssen importiert werden. Auch die Motoren kaufe man »über drei Ecken« im Ausland ein. »Woher kann ich der Presse nicht sagen, sonst lesen das die US-Amerikaner«, sagt Velarde mit einem Lachen. Klingt verrückt, aber tatsächlich blockieren die USA selbst medizinische Hilfe. Zu Beginn der Pandemie versuchte die kubanische Regierung, Beatmungsgeräte von den Schweizer Unternehmen Imtmedial und Acutronic zu kaufen. Im April jedoch wurden diese von der US-Firma Vyaire Medical übernommen. Wegen der US-Blockadegesetzgebung kam eine Lieferung der Geräte daraufhin nicht mehr zustande.

Unterstützung dagegen gab es von der EU und der Schweizer Nichtregierungsorganisation Medicuba-Suisse, die seit über 25 Jahren im Gesundheitsbereich auf der Insel aktiv ist. Mit einem Euro-Betrag im mittleren fünfstelligen Bereich wurde unter anderem der Kauf von Sauerstoffsensoren ermöglicht, sagt Manuel Vanegas Ayala von Medicuba-Suisse.

Die jungen kubanischen Wissenschaftler sind stolz auf das Erreichte. Entwickelt haben sie ein kostengünstiges Notbeatmungsgerät »mit vielen Funktionen eines hochpreisigen Gerätes«, wie Velarde erläutert. »Es ist ein grandioses Gefühl«, mit einem Gerät in Eigenregie einen Beitrag zum Gesundheitssystem zu leisten. Denn Beatmungsgeräte, selbst wenn sie zu beschaffen gewesen wären, sind teuer. Ein einzelnes Gerät kann mehrere zehntausend Euro kosten. Auch vor diesem Hintergrund sei eine eigene kubanische Produktion wichtig, betont NGO-Vertreter Vanegas, zumal viele Länder den Export von Beatmungsgeräten oder selbst von Schutzkleidung verboten hatten.

Die von Velarde und seinem Team entwickelten Geräte sollen ab Oktober in die Serienproduktion gehen. Auch wenn sie dann im Zusammenhang mit Covid-19 wohl nicht mehr eingesetzt werden, da die Epidemie auf Kuba unter Kontrolle scheint, tragen die jeweils 250 invasiven und nicht-invasiven Beatmungsgeräte zur besseren Ausstattung des Gesundheitssystems bei. »Da sie auf Kuba entwickelt wurden, können sie dort auch gewartet werden«, sagt Vanegas. »Diese Selbstermächtigung ist ein weiterer Schritt in Richtung technologische Souveränität und durchaus Vorbild für andere Länder.«