67 Tatverdächtige für Hasskommentare

Die hessische Staatsanwaltschaft hat mehrere tausend Hetzposts gegen Walter Lübcke ausgewertet und an die zuständigen Stellen weitergeleitet

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war im Februar 2019. Walter Lübcke, Regierungspräsident von Kassel, lebte noch. Die Bürgerversammlung, auf der er über ein neues Flüchtlingswohnheim informierte und Gegnern der Willkommenskultur entgegnete, jedem stünde es frei, dieses Land zu verlassen, lag viereinhalb Jahre zurück. In der Gruppe »AfD bundesweit« wurde ein Text gepostet, in dem Lübckes Aussage von damals noch einmal thematisiert wurde. Ein Mann kommentiert: Lübcke solle man eine aufs Maul geben und »weiterwatschen«, bis er nüchtern sei.

Der 73-Jährige stand am Montag in Hanau vor Gericht. Seinem Verteidiger zufolge habe der Mann schon gegenüber der Polizei von einem »Fehler« gesprochen. Er sei jetzt nicht mehr in den sozialen Netzwerken aktiv. Das Verfahren wird gegen Auflage eingestellt. Der Angeklagte soll ein monatliches Einkommen von 2500 Euro an die UN-Flüchtlingshilfe und einen Verein gegen Cybermobbing spenden. Das berichtet die »Frankfurter Rundschau«.

Insgesamt sind bis heute im Zusammenhang mit in sozialen Netzwerken abgesetzten Hasskommentaren, die sich gegen Walter Lübcke richten, 67 Tatverdächtige identifiziert worden, heißt es seitens der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). Diese Schwerpunktabteilung bei der hessischen Generalstaatsanwaltschaft besteht seit zehn Jahren und ist auch für sogenannte Hatespeech im Internet zuständig. Den 67 Personen seien insgesamt 75 als strafrechtlich relevant einzustufende Kommentare zugeordnet worden.

Dafür waren mehrere tausend gemeldete Kommentare ausgewertet worden. Insgesamt wurden 164 Kommentare als strafrechtlich relevant eingeordnet. Es konnten aber nicht in allen Fällen Tatverdächtige ermittelt werden, sagte eine Sprecherin der ZIT gegenüber »nd«.

Neun Verdächtige sind wohnhaft in Hessen, weshalb die ZIT für sie zuständig ist. In sechs dieser Verfahren wurden im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages Wohnungen durchsucht. Die Ermittlungen zu diesen Verfahren dauern derzeit noch an. In den weiteren drei Verfahren fanden Mitte Juni Hauptverhandlungen vor den Amtsgerichten Gelnhausen und Kassel und am Montag vor dem Amtsgericht in Hanau statt.

Die übrigen Verfahren wurden weitergeleitet an die Staatsanwaltschaften in Stuttgart, Karlsruhe, Berlin, Cottbus, Bremen, Hamburg, Rostock, Göttingen, Köln, Duisburg, Erfurt sowie die Generalstaatsanwaltschaften in München, Koblenz, Dresden, Naumburg und Schleswig-Holstein. In den meisten Fällen dauern die Ermittlungen noch an. Zum Teil gab es Durchsuchungen, bei denen Smartphones, Laptops und andere Computer beschlagnahmt wurden.

Die Staatsanwaltschaften Duisburg und Köln und die Generalstaatsanwaltschaft in München haben bei den zuständigen Gerichten je einen Strafbefehl beantragt. Die Entscheidung der Gerichte steht noch aus. Sollten sie diesen stattgeben, könnten die Verfahren beispielsweise wie in Hanau gegen Spenden eingestellt werden. Die Beschuldigten können dem allerdings widersprechen, dann käme es zu einer Gerichtsverhandlung.

In einigen Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt. Erfurt beispielsweise war für ein Verfahren zuständig. Ein Sprecher sagte dem »nd«, die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Beschuldigte den entsprechenden Post nicht abgegeben habe. Der tatsächliche Beschuldigte konnte nicht ermittelt werden. In Karlsruhe wird derzeit ermittelt, welche von drei in Frage kommenden Personen einen Hetzpost abgesetzt haben.

Hass und Hetze im Netz werden vor allem seit dem Mord an Walter Lübcke ernster verfolgt als bisher. Das liegt auch am Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das 2017 verabschiedet wurde. Seitdem sind Plattformbetreiber wie Twitter und Facebook in Deutschland verpflichtet, Hasskommentare aus den sozialen Netzwerken zu verbannen. Das NetzDG soll nun noch verschärft werden. Nach dem Entwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 19. Februar sollen Anbieter großer sozialer Netzwerke verpflichtet werden, dem Bundeskriminalamt bestimmte strafbare Inhalte zu melden. Der Bundestag hat es am 18. Juni in erster Lesung angenommen. Derzeit beschäftigt sich der Bundesrat mit dem Gesetz.

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