2020 - das Jahr, das nie stattfand

Der Pop-Art-Künstler Jim Avignon: Sein Weg durch die Krise und wie es um Berlins Subkultur steht

  • Helen Roth
  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Avignon, Sie sind ein Künstler, der den Trubel genießt. Wie kamen Sie in den ersten Wochen des Lockdowns so zurecht?

Anfangs hab ich gedacht, das ist jetzt der Zeitpunkt, all die Dinge zu machen, die ich mir seit Jahren vorgenommen habe - alte Festplatten entrümpeln oder eine riesige Kiste mit Flyern und Skizzen sortieren. Tatsächlich hab ich aber nix davon gemacht, im Gegenteil. Ich war im ersten Lockdown-Monat wahnsinnig unruhig. Hab viel aus dem Fenster geschaut und bin nicht wirklich zur Ruhe gekommen. Ich bin einfach neugierig, geh gerne raus, um mir Sachen anzuschauen. Das hat mir wirklich gefehlt: der Austausch, Kommunikation, andere Leute treffen.

Jim Avignon

Der 52-Jährige zählt zu Deutschlands bekanntesten Pop- und Street-Art-Künstlern. Mit ihm sprach Helen Roth über sein neues Wandgemälde im Artpark Berlin-Tegel und die Subkultur Berlins in Zeiten der Pandemie.

Hat das kürzlich enthüllte Wandgemälde »One Wall« im Berliner Artpark Tegel für Sie etwas an der Situation geändert?

Ja, das war für mich wirklich ein Befreiungsschlag. Ich liebe natürlich meine Familie. Aber ich habe eine zehnjährige Tochter, und der Großteil des Homeschoolings ist an mir hängen geblieben, weil meine Frau auch während des Lockdowns gearbeitet hat. Dabei hab ich mich leider als nicht immer so patenter Lehrer herausgestellt. Oft hatte ich das Gefühl, es ist schon zwei Uhr mittags und man hat noch nichts wirklich Nennenswertes gemacht, außer sich gegenseitig gestresst. Als ich dann plötzlich an der Hauswand stand, in vierzig Metern Höhe mit einem riesengroßen Pinsel in der Hand, hat sich das supergut angefühlt.

Häufig drehen sich Ihre Arbeiten um gesellschaftliche Phänomene oder Konflikte. Das Wandgemälde zeigt ein erdballartigen Heißluftballon, der aufs Meer hinausfliegt. Was haben Sie sich dabei gedacht?

Es bleibt ein gesellschaftliches Grundgefühl, dass sich die Welt irgendwohin bewegen muss, damit es irgendwie weitergehen kann - sei es nun in Bezug auf die Pandemie, die Erderwärmung oder politisch. Ich hab das Gefühl, den Menschen wird gerade klarer, dass sehr viele Fragen und Probleme nicht ein einzelnes Land, sondern die ganze Welt betreffen, dass global alles zusammenhängt - deswegen das Motiv von der Weltkugel als Ballon, die einen Ort verlässt und sich irgendwohin bewegt. Und die ganzen Typen, die unten in der Gondel sitzen, haben zwar bestimmte Interessen, aber vielleicht noch gar nicht kapiert, dass sie sich verändern müssen. Das Bild zeigt also eine Aufbruchsstimmung, die gleichzeitig optimistisch und besorgt.

Kann die Kunst die Richtung aufzeigen, in die es weitergehen soll?

Ich glaube nicht wirklich daran, dass Kunst die Welt verändern kann. Aber sie kann natürlich Anregungen geben, Gedanken triggern, und das vielleicht auch auf andere Weise, als das Politiker können. Und das sollte sie auch tun. Das ist für mich einer der Hauptgründe, überhaupt Künstler zu sein. Ich glaube aber nicht daran, dass die Kunst die Welt letztlich verbessern wird; das müssen die Menschen schon selber machen.

Beim Betrachten Ihrer Bilder fällt auf, dass Sie nicht zynisch werden. Trotz ernster Themen, strahlen die Bilder fast immer etwas Freundliches aus. Warum?

Es ist mein Weltbild, dass unser Leben - die Welt an sich - immer eine Balance aus heiteren und schweren Momenten ist. Das versuche ich in meiner Kunst einzufangen. Ich sehe mich da - auch wenn der Vergleich etwas weit ist - in einer Tradition von Charlie Chaplin. Er hat in seinen Filmen die ganz großen Themen kritisch angepackt. Allerdings so, dass sein Publikum darüber schmunzeln oder lachen konnte. Dadurch fühlten sie sich dann oft nicht mehr so ohnmächtig in ihrer Situation, sondern gestärkt.

Viele Kulturschaffende leiden finanziell unter der Krise, sind Sie auch davon betroffen?

Obwohl Ausstellungen ausgefallen sind oder verschoben wurden, komme ich immer noch ganz gut klar. Eine Galerie, die mich in Amsterdam vertritt, hat sich leider sogar aufgelöst. Zum Glück haben mir einige Leute geschrieben, die online etwas kaufen wollten. Zum Beispiel haben sich nach der Aktion Dienstagsmaler, bei der ich Bilder verschenkt hab, auch Leute gemeldet, die gern etwas Größeres kaufen wollten. Ich bin also während des Lockdowns mehrmals die Woche zur Post gegangen und habe irgendwohin Bilder verschickt. Und ich musste noch nicht einmal fünfzig Prozent des Verkaufspreises an die Galerie abgeben, sondern konnte alles behalten. Finanziell ist es insofern für mich noch kein Einbruch.

Der Online-Handel bietet also Vorteile für Sie. Gibt’s auch Schattenseiten?

Wenn ich ein Bild mache, mit dem ich sehr zufrieden bin, dann gehört es für mich dazu, dass es in einem Raum voller Leute hängt, die darüber diskutieren. Wenn ich - wie jetzt - ein Bild nur auf Facebook oder Instagram stelle und danach verschicke, bleibt immer so ein leichtes Gefühl der Enttäuschung zurück.

Kunst verkommt vermehrt zu Spekulationsware. Sie haben sich schon lange solchen Mechanismen entzogen, warum?

In den 90ern sah ich mich als Künstler in der Tradition von Punk. Und auch heute verstehe ich mich noch als Künstler, der mit seinen Bildern keinen Wert schaffen will, der in Zahlen gemessen wird. Stattdessen will ich der Welt etwas mitteilen. Inzwischen arbeite ich aber schon mit vielen Galerien zusammen, allerdings sehr unabhängig. Ich hab also keinen festen Vertrag, sondern verhandle jede Ausstellung neu. Sie akzeptieren zum Glück auch alle, dass meine Bilder nicht im Preis steigen, sondern dass ich meine Werke an Menschen verkaufe, denen meine Arbeit wirklich etwas bedeutet und die nicht nur auf eine Anlage aus sind.

Ihre Karriere als Künstler hat in Techno-Clubs Fahrt aufgenommen. Damals malten Sie während Raves regelmäßig die Wände kompletter Clubs voll. Damit waren Sie ein wichtiger Teil der Subkultur. Haben Sie Angst, dass diese jetzt durch die Auswirkungen der Pandemie verschwindet?

Ich hab im Moment in Berlin schon ein bisschen Angst. Vielen geht gerade die Luft aus. Einige konnten sich zwar mit den Hilfen über die ersten Monate retten, einige kleinere Läden haben aber schon dichtgemacht. Nun tanzen die Menschen wieder verstärkt in Parks. Wie das dann aber im Herbst aussehen wird, weiß ich nicht. Damit könnten die Auswirkungen der Pandemie die Subkultur schon nachhaltig verändern.

Heißt das, wir müssen uns ein Berlin ohne Nachtleben vorstellen?

Ganz so schlimm wird’s hoffentlich nicht. In Berlin liegt immer so ein Wind von Erneuerung in der Luft. Zudem war das lange Ausgehen auch schon vor Techno ein wichtiger Aspekt in Berlin.

Apropos Berlin, planen Sie dort bald wieder eine Ausstellung?

Ja, für September in der Galerie Köppe. Durch die Pandemie-Schutzmaßnahmen gibt es allerdings noch einiges zu regeln. Aktuell dürfen nur zwanzig Leute auf einmal rein. Ob es dann überhaupt eine Vernissage gibt, ist noch nicht klar. Für den Herbst gibt es mit Blick auf eine mögliche zweite Welle leider noch eine ziemliche Planungsunsicherheit. Ich fürchte, 2020 wird das Jahr, das nie wirklich stattfand.

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