»Da tat sich das braune Fass auf«

Antifaschistische Recherchegruppen nutzen das Internet, aber auch klassische Obsersavationsmethoden wie Beschattungen von Wohnorten und Arbeitsstellen

  • Emil Larson
  • Lesedauer: 6 Min.

Draußen regnet es, und in einer verrauchten Berliner Szenekneipe haben sich drei Gestalten in die hinterste Ecke des schummrigen Raums an einen Tisch gesetzt. Ich bin heute mit Johanna, Richard und Clara verabredet. Sie haben sich dazu bereit erklärt, sich mit mir hier zu treffen, so unauffällig wie möglich. Zugesagt haben sie jedoch erst nach langem Überlegen und langer verschlüsselter Email-Korrespondenz. Auch hier in den dunklen Räumen bleiben sie misstrauisch. Ihre bürgerlichen Namen nennen sie mir nicht. Die drei sind Teil eines antifaschistischen Recherche-Kollektivs. »Eine gesunde Paranoia ist absolut notwendig«, erklärt mir Johanna ihr klandestines Verhalten. »Wir müssen uns selbst schützen.« Nicht nur Nazis haben es auf die Antifaschist*innen abgesehen, auch die Polizei und der Verfassungsschutz haben ein Interesse an ihren Aktivitäten. Zwar greifen staatliche Stellen immer wieder auf Recherchen antifaschistischer Gruppen wie auf die Exif-Recherche oder Recherche030 zurück, legal sind deren Methoden aber nicht immer. Als Verbrecher*innen betrachten sich die drei aber nicht.

Für ihre Recherchen nutzen die drei und ihre Genoss*innen meist das Internet, aber auch althergebrachte Observationsmethoden, wie Beschattungen von Wohnorten und Arbeitsstellen. Die Recherchen sind oft zeitaufwendig und setzen gewisse Informatikgrundkenntnisse voraus. »Wenn man sich erst einmal dahinterklemmt, ist das alles gar nicht so schwer mit dem Recherchieren«, meint Clara.

Auch ihr jüngster Fall, der des Bernauer AfD-Politikers und Box-Promoters Hans Link, zeigt die Vermengung von digitaler Recherche und guter alter Detektiv*innenarbeit. Die Gruppe wurde zunächst auf Demonstrationen und Kundgebungen der AfD auf Männer aufmerksam, die Jacken mit der Aufschrift Link-Security trugen und Fotos von Gegendemonstrant*innen machten. »Nach kurzer Online-Recherche tat sich dann das ganze braune Fass auf«, sagt Johanna. Link ist nicht bloß AfD-Politiker und Security-Unternehmer, sondern auch professioneller Privatdetektiv und Boxpromoter. Zu seinen Boxpartnern im »Bund deutscher Faustkämpfer« gehört der »Germanen Boxstall Kiel«, der auf seiner Facebookseite mit Wehrmachtsdevotionalien prahlt und kürzlich einen Skandal auslöst,e als Mitglieder der Gruppe während einer im Fernsehen live übertragenen Boxveranstaltung mit »Kraft durch Freude«-Shirts posierten. Neben den Erkenntnissen aus dem Netz fanden die Aktivist*innen auch durch klassische Observation heraus, dass Hans Link sich politisch offenbar bei der NPD beheimatet fühlt. Zumindest nahm er in der Vergangenheit an Demonstrationen der Nazi-Partei teil.

»In unserer Recherchegruppe sind ganz unterschiedliche Menschen«, so Clara, »von Soziologiestudenten über Bankfachangestellte bis zur Tischlerin ist alles dabei.« Was sie eint, ist die Ablehnung des Faschismus.

»Faschismus ist nicht so leicht zu definieren«, erklären mir die Aktivist*innen - da Faschismus vor allem eine Fremdbezeichnung für eine »Plattform« aus verschiedenen rechten Einstellungen und menschenverachtenden Ideologien sei. »Ein entscheidendes Fragment ist heutzutage der Antifeminismus, das sieht man vor allem in den Polemiken gegen den vermeintlichen Genderwahn«, erläutert Johanna. Aber auch die rassistisch motivierte Ablehnung von Muslim*innen - häufig versteckt hinter Begriffen wie Ethno-Pluralismus - und die Ablehnung der »alles kontrollierenden Eliten« - was nichts anderes als Antisemitismus ist - seien ihrer Meinung nach wesentliche Bestandteile des modernen Faschismus. »Es gibt aber auch Antifaschist*innen, die das ganz anders bewerten«, so die Aktivistin.

Antifa - das funktioniert eben anders als viele Leute denken. Antifa ist nicht der Name einer einzelnen Organisation, sondern eine heterogene Bewegung, die sich aus vielen verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Selbstverständnissen und Ansätzen zusammensetzt. Im Grunde genommen geht es darum, sich gegen faschistische Entwicklungen in der Gesellschaft zu positionieren und dagegen anzukämpfen. Die erste »Antifaschistische Aktion«, auf die sich auch heute noch viele Gruppen beziehen, war in den 30er Jahren von der Kommunistischen Partei ins Leben gerufen worden. Seit diese von den Nazis verboten wurde, gibt es keine einheitliche »Antifa« mehr. »Immer wenn Leute von ›der Antifa‹ reden, zeigt das eigentlich nur, dass die keine Ahnung haben«, erklärt Clara. »Und dann gibt’s dazu immer mal wieder Selbstdarsteller*innen, die sich zu Sprecher*innen der Bewegung erklären.« Als Selbstdarsteller*innen möchten sie mir gegenüber nicht rüber kommen, aber ihnen sei es wichtig, auch auf die »unsichtbare« antifaschistische Arbeit aufmerksam zu machen.

Straßenkampf ist nicht alles

»Antifas sind in linken Kreisen oft als Macker verschrien, die sich gerne prügeln«, ergänzt Richard, »dabei wird oft vergessen, dass Antifaarbeit eben mehr ist als Straßenkampf«. Aber gerade, weil staatliche Akteur*innen bei Aktivitäten von Neonazis oft lieber wegschauen - sei es, weil sie heimliche Sympathien hegen, sei es, weil sie nicht die Arbeit ihrer eigenen Sicherheitsorgane kritisieren wollen - ist die Arbeit der Aktivist*innen besonders wichtig. So konnte zum Beispiel die Verbindung des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke zu Neonazi-Strukturen durch die Recherche antifaschistischer Gruppen bewiesen werden. Auch zur Anschlagsserie in Berlin-Neukölln konnten Antifagruppen wesentlich früher als die Polizei einen Verdächtigen benennen, gegen den nun auch ermittelt wird.

Natürlich habe sie manchmal Angst, sagt Clara. Zum Beispiel, wenn sie nachts aufs Dorf fahren, um zu gucken, wer sich bei den verschiedenen Nazi-Veranstaltungen wie Kameradschaftsabenden oder Kampfsportveranstaltungen rumtreibt. Aber es mache auch viel Spaß, sich wie eine Spionin zu fühlen, sagt sie. »Im Endeffekt ist vor allem wichtig zu wissen, dass wir hier für die richtige Sache einstehen, nämlich: dass Nazis nicht das tun können, was sie gerne tun würden: Minderheiten ermorden und unterdrücken.«

Damit ihre Recherchen etwas bewirken, seien sie auch auf die Öffentlichkeit angewiesen, erklärt Richard. Lange Zeit war ein Outing als Nazikader genug, um einen öffentlichen Skandal zu provozieren. Leider sei das heute nicht mehr der Fall. Verantwortlich dafür machen die Aktivist*innen die AfD, die bewusst die Grenze des Sagbaren verschoben habe. Antifaschistischer Protest werde gleichzeitig kriminalisiert. Im Kleineren zeigten solche Outings aber immer noch Wirkung. Durch das Verteilen von Flugblättern im Wohnumfeld von Neonazis zum Beispiel werde deren Handlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Nazis berichten immer wieder, dass sie nach solchen Aktionen in Cafés und Läden in ihrem Wohnumfeld nicht mehr bedient wurden. »Das ist natürlich ein super Effekt, wenn sich ein Nazi in seinem Umfeld nicht sicher fühlt. Wenn er mit solchen Dingen beschäftigt ist, kann er weniger Zeit in seine politische Arbeit investieren«, so Clara.

Mit Nazis reden hilft nicht

Von Forderungen nach Dialog und Verständnis für die Sorgen von »besorgten Bürgern« halten die drei jedoch nichts. Sie entgegnen mir stattdessen Worte des Satirikers und politischen Kommentators Wiglaf Droste und stellen mir die Gegenfrage: »Warum? Haben die uns irgendetwas zu sagen?« Ein Gespräch bringt nach Ansicht der Aktivist*innen nur unter bestimmten Voraussetzungen etwas. Und zwar, wenn es sich erstens vom Gegenüber nicht für Propaganda instrumentalisieren lasse und zweitens, es sich nicht um ideologisch gefestigte Nazis mit einem geschlossenen rechten Weltbild handele. Mit solchen Leuten könne man einfach kein Gespräch führen, meinen die Aktivist*innen. »Mit Wähler*innen der AfD kann sich eine Diskussion lohnen«, versucht Clara den Unterschied zu erklären, mit Produzent*innen und Akteur*innen rechter Ideologie, wie Beatrix von Storch, jedoch nicht. »Die lassen sich ohnehin nicht mehr retten.« Bei gefestigten Neofaschist*innen komme es daher nur darauf an, deren »Wirkungsoptionen« einzuschränken.

Das sei schlussendlich auch die Motivation, überhaupt antifaschistisch tätig zu werden. »Uns und andere zu schützen, das ist für mich auf jeden Fall der Hauptantrieb«, sagt Johanna. Die Behörden und vor allem der Verfassungsschutz agierten oft viel zu zaghaft bis gar nicht gegen Nazistrukturen, da sei es gut, wenn eine Gegenöffentlichkeit Druck aufbaue und Beweise liefere. Grundsätzlich sei es daher notwendig, die Öffentlichkeit möglichst gut über Neonazis und ihre Aktivitäten zu informieren. Nur so können, nach Überzeugung der Aktivist*innen, Übergriffe wirkungsvoll verhindert werden.

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