• Berlin
  • ARD-Magazin Kontraste

Der Feind in der Rigaer Straße

Die kampagnenartige RBB-Berichterstattung gegen linke Hausprojekte ruft die Polizeipräsidentin auf den Plan

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Von »lebensgefährlichen Situationen« für Polizist*innen ist die Rede, von Nachbar*innen, die »Angst um ihr Leben« hätten, und das alles wegen der »autonomen Gewaltszene«, die in der Rigaer Straße eine »rechtsfreie Zone« aufgebaut haben soll, einen »Autonomen-Staat im Staate« quasi. Der Bericht des ARD-Magazins Kontraste und des dabei federführenden RBB von Ende vergangener Woche klingt, als herrschten im Friedrichshainer Nordkiez mittlerweile bürgerkriegsähnliche Zustände. Und genau dieser Eindruck soll wohl auch vermittelt werden, lässt sich doch so die rechtswidrige Teilräumung des linksradikalen Hausprojekts »Rigaer94« sowie die anstehende Räumung des benachbarten queerfeministischen Projekts »Liebig34« prima rechtfertigen.

Wie tendenziös die Berichterstattung des RBB beim Thema Rigaer Straße ist, zeigt sich nicht nur an der Feindbildrhetorik. So werden in dem Beitrag nur Polizisten und erklärte Gegner der beiden Projekte wie der CDU-Fraktionschef Burkard Dregger befragt. Auch dem vermeintlichen Hausverwalter wird jede Menge Raum gegeben, ohne dabei zu erwähnen, dass die Eigentumsverhältnisse der »Rigaer94« durchaus unklar sind. Das Landgericht Berlin hatte in mehreren Prozessen festgestellt, dass die Briefkastenfirma »Lafone Investments Ltd« über keine gültige Eigentümervollmacht verfügt – und somit auch keine Vollmachten an irgendwelche Hausverwalter verteilen kann.

Doch der Skandal liegt für den RBB nicht etwa im Fehlverhalten der Polizei, die im Zuge einer Razzia am 10. Juli dem laut eigenen Angaben »nicht ausreichend bevollmächtigten Rechtsanwalt und Hausverwalter« Zutritt zum Haus verschafft hatte, woraufhin dieser mit Bauarbeitern rechtswidrig eine Wohnung räumte (»nd« berichtete). Der öffentlich-rechtliche Sender hätte es vielmehr gern gesehen, dass die Beamt*innen, als der Hausverwalter wenige Tage später angegriffen wurde, das Haus einfach stürmen – was diese wegen des sogenannten Entscheidungsvorbehalts zum gewaltsamen Eindringen in linke Szeneobjekte aber nicht dürften.

Der konstruierte Skandal geht so weit an der Realität vorbei, dass sich Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik nun bemüßigt sah, eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Ausführlich wird darin der Sachverhalt erklärt: Am Morgen des 13. Juli versuchten der vorgebliche Hausverwalter und ein Anwalt das Projekt zu betreten, woraufhin sie von einer Gruppe Vermummter mit einem Schlagstock und Reizgas angegriffen werden, die daraufhin ins Haus flüchtet. Als die Polizist*innen kurze Zeit später in das Gebäude eindringen wollen, scheitern sie an einer Stahltür, und als sie mit Feuerlöschern angegriffen werden, ziehen sie sich zurück.

Eine Kapitulation vor »linksextremen« Gewalttäter*innen, wie der RBB meint? Mitnichten. Zwar gibt es durchaus einen Entscheidungsvorbehalt, laut dem die Behördenleitung, außer bei einer »gegenwärtigen, erheblichen Gefahr«, vor dem Eindringen in linke Objekte immer einzubinden ist. Den gibt es allerdings schon seit 2012, und er wurde im vergangenen Jahr sogar gelockert. Eine vermeintliche »Strafvereitelung im Amt«, wie sie in dem Bericht unterstellt wird, und wegen der Hausverwalter Torsten Luschnat nun Polizeipräsidentin Slowik und Innensenator Andreas Geisel (SPD) angezeigt hat, sei aber nicht gegeben: »Auch wenn der Vorbehalt ein Novum war, ist die Verfahrensweise der Meldung und gegebenenfalls Anforderung weiterer Kräfte in der polizeilichen Praxis eigentlich Alltag«, heißt es aus Polizeipräsidium.

Zumal es an besagtem Tag nicht am Vorbehalt lag, dass die Tatverdächtigen nicht verfolgt wurden, sondern daran, dass es keinen Durchsuchungsbeschluss gab. Und welche*r Richter*in stellt schon einen Beschluss für Dutzende Wohnungen aus, wenn der letzte Sichtkontakt über eine Stunde her und die Verdächtigen vermummt und ein Wiedererkennen damit unmöglich ist? Richtig, keine*r. Soviel zu dem Skandal, der spätestens hier an rechtsstaatlichen Prinzipien verpufft.

Aufhorchen lässt bei der Stellungnahme der Polizeipräsidentin jedoch folgender Satz: »Bei der Detailbetrachtung müsste man eigentlich rechtliche Schritte gegen die Anzeigenden erwägen.« Denn hier liegt das eigentliche Problem, dass ein nicht legitimierter Hausverwalter ohne Durchsuchungsbeschluss eine Wohnung räumt und dabei noch von der Polizei geschützt wird. Zwar weist die Innensenatsverwaltung in ihrer Antwort auf eine »nd« vorliegende parlamentarische Anfrage des Linke-Politikers Niklas Schrader eine Beteiligung der Einsatzkräfte an der Teilräumung zurück. Die Polizei will auch nicht an der Beseitigung des Inventars der geräumten Wohnung beteiligt gewesen sein, obwohl Fotos auf Twitter das Gegenteil nahe legen. Lediglich bei der Demontage der Türen will man behilflich gewesen sein, nachdem der Verwalter eine Vollmacht vorgelegt hatte.

Burkard Dregger will die Frage nach der Vollmacht nun im Innenausschuss des Abgeordnetenhaus klären, wie er am Dienstag mitteilte. Das will auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, wenn auch aus anderen Gründen. Für Schrader ist die Einbindung der Hausverwaltung in den Polizeieinsatz ein »großer Fehler« und »rechtsstaatlich problematisch«. »Wir müssen jetzt überprüfen, ob der Einsatz so hätte stattfinden dürfen«, sagt er dem »nd«. Ob die Polizei die Bauarbeiter nicht hätte aufhalten müssen, statt sie noch zu unterstützen. Doch aufgehalten wurden an diesem Tag nur Journalist*innen, die in das Gebäude wollten – außer natürlich die des RBB.

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