Ist es Surfen oder ist es Paddeln?

Die Weltverbände der Surfer und Kanuten streiten sich, wer das Sagen in der Boom-Sportart Stand-up-Paddle haben soll. Der Sportgerichtshof entschied: Der eine mehr, der andere aber auch!

Es gibt Urteile, die sorgen für geordnete Verhältnisse. Und es gibt welche, die Unklarheiten noch einmal zementieren - so eines, wie es der Internationale Sportgerichtshof CAS vor einer Woche in Lausanne gefällt hat: Im seit Jahren schwelenden Streit, welchem internationalen Sportverband denn nun die Boom-Sportart Stand-up-Paddle (SUP) zuzurechnen ist, hat der CAS entschieden: In olympischen Belangen wird künftig die International Surfing Association (ISA) als internationaler Verband für die Stehpaddler zuständig sein.

Doch der Weltverband der Wellenreiter ist keinesfalls der klare Gewinner: Die drei CAS-Richter (ein Schweizer, ein US-Amerikaner, ein Brite) haben nämlich der konkurrierenden Internationalen Kanuföderation ICF das Recht zugesprochen, weiterhin eigene Wettbewerbe auszurichten. Den Antrag der International Surfing Association, als alleiniges Leitungsorgan für SUP auf Weltebene anerkannt zu werden, lehnte das Sportschiedsgericht ab. Es betonte, dass die Kanuten weiterhin »berechtigt« seien, »alle Arten von SUP-Aktivitäten außerhalb der olympischen Bewegung durchzuführen«. Und noch ist das Stand-up-Paddeln nicht olympisch, das könnte frühestens 2028 passieren.

Massenphänomen Stand-up-Paddle (SUP)

Die Regeln
Die sogenannte Stand-up-Paddle Alliance Germany (SUP-AG), ein Zusammenschluss aus verschiedenen Wassersport-Verbänden, sorgt für die Koordination des SUP-Sports mit gemeinsamen Meisterschaften und Regeln. Sie hat die Wettkampfregularien herausgegeben, die auf den internationalen Regeln basieren.

So muss ein SUP-Wettbewerber während des gesamten Wettkampfes auf dem Bord stehen. Sitzend oder kniend dürfen in der Orientierungs- und bei Erschöpfung maximal fünf Paddelzüge absolviert werden. Die Ziel- und Startlinie muss auf jeden Fall stehend überfahren oder aber bei einem Strand-Start überlaufen werden.

Der Wettkampf
Bei den Kanuten finden Wettbewerbe im Sprint (200 bis 400 Meter) oder auf der Langstrecke (sechs bis zwölf Kilometer) auf flachem Gewässer statt. Bei den Surfern überwiegen die Open-Water-Wettkampfformen, wie das Technical Race. Hier ist die Streckenlänge offen, Austragungsort ist das Meer. Als härtestes internationales Rennen gilt das »Molokai 2 Oahu« auf Hawaii – 51,5 Kilometer auf dem Pazifischen Ozean zwischen den hawaiianischen Inseln Molokai und Oahu. Dort treffen harte Passatwinde und starke Strömungen aufeinander. Die Sylterin und mehrfache SUP-Weltmeisterin »Sonni« Hönscheid gewann das Rennen im Jahr 2014 als erste Europäerin.

Historie
Die Geschichte des SUP beginnt bei den Polynesiern, zu denen die Māori auf Neuseeland, aber auch die Bewohner von Hawaii, Tahiti, Samoa, Tonga, der Osterinsel und der östlichen Inseln von Fidschi zählen. Sie paddelten auf ihren Kanus über die Riffe hinaus, um fischen zu können. In den 60er Jahren nutzten vor allem Surflehrer auf Hawaii ihre Longboards im Stehen, um ihre Surfschüler besser im Blick zu haben oder Fotos von den Surftouristen zu machen.

Kritikpunkte
Mittlerweile verkaufen auch Discounter die Sportgeräte in großer Stückzahl, nicht jeder Käufer nutzt das Board dauerhaft. Außerdem verursachen die Wassersportler mehr Müll, wenn beispielsweise beim Paddeln zum Beispiel Getränkeflaschen im Wasser landen. In Großstädten ärgern sich mitunter Anwohner von Kanälen, Teichen oder Seen über das durch die Stand-up-Paddler erhöhte Verkehrsaufkommen auf dem Wasser. Auch dem Schiffsverkehr kommen Paddler manchmal in die Quere. dpa/nd

Wer hat die älteren Rechte?

Vor allem für die Athleten, die SUP als Wettkampfsport betreiben wollen, ist das Urteil ein Problem. Denn vorerst werden sowohl die Kanuten als auch die Surfer weiterhin ihre Weltmeisterschaften ausrichten dürfen. Die International Surfing Association tut das bereits seit 2012, als die ersten Welttitelkämpfe in Lima (Peru) stattfanden, und behauptet deshalb wohl nicht ganz zu Unrecht, die älteren Rechte am SUP zu haben.

Die Kanuten hingegen haben ihr Herz fürs »Suppen« (so nennen die Sportler in Deutschland das Stehpaddeln) später entdeckt: Erst 2015 meldeten sie international Begehrlichkeiten an, 2018 schließlich sollte eine erste ICF-Weltmeisterschaft in Portugal stattfinden. Der nationale portugiesische Surfverband konnte dies per Gerichtsbeschluss verhindern - eine Eskalation im Streit zwischen ISA und ICF.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Schiedsgerichtsverfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS bereits begonnen, insofern argumentierte der portugiesische Surfverband durchaus konsequent, als er Rechtsmittel einlegte und die WM per einstweiliger Verfügung verhinderte.

WM im zweiten Anlauf

Die verärgerte ICF musste stattdessen erneut Anlauf nehmen, schaffte es schließlich, 2019 die erste eigene SUP-WM im chinesischen Quingdao auszurichten - kurzfristig angesetzt als offener Wettbewerb, weswegen zwar viele schwache chinesische Starter dabei waren, aber auch genügend Supper aus der absoluten Weltspitze. Die ersten Titelkämpfe des Weltkanuverbandes gelten unterm Strich als sehr gelungene Veranstaltung.

Und wie soll es nach dem CAS-Urteil weitergehen? Die Athleten wollen auch künftig an Wettkämpfen beider Verbände teilnehmen. »Das wünschen sich allein schon unsere Sponsoren«, sagt Valentin Illichmann, deutscher Meister in der Disziplin Wildwasser. Der 21-Jährige SUP-Profi aus München ist seit Langem sowohl im Deutschen Wellenreiter-Verband (DWV) als auch im Deutschen Kanu-Verband (DKV) organisiert und startet bei beiden Verbänden. »Ich muss aber sagen, dass ich es schon begrüße, dass die ISA den Zuschlag für SUP bei Olympia bekommen hat«, sagt Illichmann, der als Athletensprecher beim DWV fungiert. »Für mich liegt der Ursprung des SUP klar im Surfen.«

Prinzipiell gilt, dass Länder mit langer Küstenlinie und Wellenreit-Tradition in Sachen SUP den Weltsurfverband unterstützen: Spanien, Portugal, USA (die ISA hat ihren Sitz in San Diego), Australien oder Argentinien. Sie sehen SUP naturgemäß bei den Surfern angesiedelt. Länder mit weniger Surf-Begeisterung oder schlicht fehlendendem Ozeananschluss neigen indes eher dazu, SUP dem Kanu zuzuordnen - ist doch das Paddel neben dem Board das bestimmende Sportgerät beim SUP. Die nächste Weltmeisterschaft unter Leitung der Kanuten findet 2021 in Ungarn auf dem Balaton statt.

Nicht einfacher wird die Gemengelage dadurch, dass die Profis auch noch in der APP World Tour antreten - eine kommerzielle Rennserie, die wiederum mit der ISA verbandelt ist. Stand-up-Paddle ist eine neue Sportart, es gibt viel Wildwuchs. Etliche versuchen, eigene Wettkampfserien zu kreieren, mancherorts aus reinem Enthusiasmus, anderenorts auch in der Hoffnung, gutes Geld damit zu verdienen.

Der SUP-Boom hat Begehrlichkeiten geweckt. Die am schnellsten wachsende Wassersportart kann weltweit auf riesige Zuwachszahlen verweisen, vor allem im Freizeitsport. Allein in Deutschland sind 2020 schon 300 000 Bretter verkauft worden, wobei erst die aufblasbaren Boards für echte Massentauglichkeit gesorgt haben. Manch darbenden deutschen Kanuverein hat SUP vor dem Ende bewahrt.

Die Chance für etwas Neues

Beide Weltverbände mühten sich nun, das kaum für Klarheit sorgende CAS-Urteil jeweils zum eigenen Sieg umzudeuten: die ISA, weil sie bei einer Olympiateilnahme das Sagen hätte und sich damit als Nummer eins in Sachen SUP sieht; die ICF indes, weil sie weiterhin Wettbewerbe ausrichten darf und die Surfer »keinesfalls einen Alleinvertretungsanspruch« haben.

Womöglich könnten sich die zerstrittenen Weltverbände in Deutschland abgucken, wie man das Problem löst: Hier haben sich der Deutsche Wellenreiter-Verband, der Deutsche Kanu-Verband und die kleine SUP-Interessenvertretung GSUPA zusammengeschlossen, um gemeinsam Wettkämpfe zu organisieren und den Sport weiterzuentwickeln. Seit Jahren schon arbeiten hier Surfer, Kanuten und SUP-Puristen gut zusammen. »Das könnte doch ein Modell auch für die Weltsportverbände sein«, findet Steven Bredow, SUP-Referent beim DKV. »Es ist jetzt alles offen«, glaubt auch Peter Rochel, Vizepräsident des DWV. »Allein die Möglichkeit, die Kanu-Wildwasserstrecken mit dem Wellenreitsport zu kombinieren - es wäre fantastisch! Das ist eine echte Chance.«

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