Ein beispielloser Übergriff

Vorgehen der Behörden nach dem Verbot des Portals linksunten.indymedia teils für rechtswidrig erklärt

  • Peter Nowak und Dirk Farke
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Jahre ist es her, dass der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Internetplattform linksunten.indymedia als »Verein« verbot. Jetzt wurden einige der mit der Maßnahme im Zusammenhang stehenden Behördenaktionen für rechtswidrig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht veröffentlichte am 5. August sechs Beschlüsse zu fünf Postsicherstellungen und einer E-Mail-Beschlagnahme nach der Bekanntgabe des Verbotes am 25. Augst 2017. Zwei der Briefbeschlagnahmen waren demnach rechtswidrig. Die drei anderen Briefsicherstellungen und die Beschlagnahme eines Mailfaches in Freiburg dagegen waren demnach rechtmäßig.

Für die betroffenen Personen bedeuteten die damaligen Beschlüsse, dass ihre Post sechs Wochen ab Inkrafttreten des Indymedia-Verbots vor Zustellung durchgesehen werden durften. Nachdem die Betroffenen nachträglich über die Postkontrolle informiert worden waren, beantragten sie, diese für rechtswidrig zu erklären. »Die materiellen Voraussetzungen einer gerichtlichen Anordnung der Postbeschlagnahme waren nicht gegeben«, entschied das Bundesverwaltungsgericht nun in zwei Fällen. Es habe »an hinreichend konkreten Anhaltspunkten« dafür gefehlt, »dass der Antragsteller bei ›linksunten.indymedia‹ eine Führungsrolle innegehabt haben könnte oder dem Betreiberteam der Plattform zuzurechnen wäre«.

Dem Gericht lagen zur Person des Beschwerdeführers »Erkenntnisse« des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) vor. Das Gericht erklärte nun, die »Angaben unbekannter Quellen« durch das LfV reichten »als sekundäre Beweismittel für sich genommen nicht aus«, um die Beschlagnahmen zu rechtfertigen.

Ende August 2017 hatten Beamte des Stuttgarter Landeskriminalamtes (LKA) bei Hausdurchsuchungen in Freiburg im Breisgau auch zwei verschlüsselte Datenträger der Verfassten Studierendenschaft (VS) der dortigen Universität konfisziert. Da in der Vergangenheit bei der VS oft eingebrochen worden war, bewahrte ein Mitarbeiter diese damals privat auf. Hierauf befanden sich alle Daten der 25 000 Studierenden einschließlich Wählerverzeichnisse, die kompletten Personal- und Arbeitnehmerdaten der VS, sämtliche Lohnabrechnungen mit Kontakten und die Kontodaten aller Referenten und Angestellten seit 2013 sowie Datenarchive der Zeit vor 2013 und Bilddokumentationen von universitären Protestaktionen.

Zwar erhielt die Studierendenschaft die Datenträger wieder zurück, nachdem sie erklärt hatte, diese hätten nichts mit Indymedia zu tun. Auf Nachfrage wurde ihr jedoch mitgeteilt, es seien Kopien gefertigt worden, die jetzt dechiffriert würden. Nach der Androhung von rechtlichen Schritten teilte das Bundesinnenministerium mit, es könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass »die Speicher Belege über die Zugehörigkeit zum und/oder über die Aktivitäten« von linksunten.indymedia enthielten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sei deshalb mit der Entschlüsselung und Auswertung der Kopien beauftragt.

Unter den Freiburger Studierenden sorgte dieses Vorgehen für Empörung. Der von der VS eingeschaltete Rechtsanwalt Udo Kauß erklärte es für völlig unangemessen, zumal der VS »zu keinem Zeitpunkt« vorgeworfen worden sei, etwas mit linksunten.indymedia.org zu tun gehabt zu haben. Der Vorsitzende der Humanistischen Union Baden Württemberg befand, es sei absolut unverhältnismäßig, »einen so riesigen Bestand persönlicher studentischer Daten durch den Geheimdienst durchsehen zu lassen, allein mit der pauschalen Begründung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich dort für das Verbot von linksunten.indymedia.org relevante Daten befinden«. Hätte eine solche Auffassung Bestand, »dann gäbe es kaum mehr Grenzen für einen sicherheitsbehördlichen Zugriff sowohl auf private als auch auf staatliche Datensammlungen«.

Die VS ging deshalb 2017 in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht gegen die Beschlagnahme vor - vergeblich. Im August 2019 erhob Kauß dann vor dem Freiburger Verwaltungsgericht vorbeugende Unterlassungsklage, bei der das Gericht eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts vornehmen muss. Elf Monate später teilte das Bundesinnenministerium dem Gericht mit, es bestehe nun kein Interesse mehr an der - noch immer nicht gelungenen - Entschlüsselung der Kopien. Das auch gelte für das BfV, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, an die man Kopien weitergegeben habe. Diese seien vernichtet worden. Eine gleichlautende Erklärung kam vom Stuttgarter Innenministerium für das LKA und das LfV.

Lou Mollat vom Vorstand der Freiburger VS erklärte gegenüber »nd«, man sei zwar froh, die Daten in Sicherheit zu wissen. »Andererseits hätten wir uns ein Urteil gewünscht, das die Rechtswidrigkeit dieser Vorgänge klarstellt.« Das Vorgehen der Behörden bleibe »ein beispielloser Übergriff«. Dem müsse man sich »mit allen legalen Mitteln entgegenstellen«.

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