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Mit Algen in die Lüfte

Auf Münchens »Ludwig-Bölkow-Campus« verbinden sich zivile und militärische Forschung - zum Beispiel an Alternativen zu Kerosin.

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 6 Min.

An der Technischen Universität München sponsert Facebook mit 6,5 Millionen Euro ein Institut zur Erforschung Künstlicher Intelligenz, auch Lidl ist mit 20 angekündigten Stiftungsprofessuren dabei. Kritiker warnen, die Forschung werde zunehmend von Unternehmen beeinflusst. Doch die Verzahnung von Politik, Forschung, Privatunternehmen und Rüstungsindustrie ist bereits weit fortgeschritten und in den technischen Fächern nahezu zum Normalfall geworden. Ein Blick in die Netzwerke der Macht anhand der Forschung zur wirtschaftlichen Nutzung eines grünen Gewächses: Der Alge.

Der weitläufige Campus der TU in Garching, im Norden vor den Toren Münchens. Hier ist in der Lichtenbergstr. 4 das Fachgebiet für Theoretische Chemie untergebracht und dort findet man in einem der Labors inmitten von Reagenzgläsern und Geräten zur chemischen Analyse Thomas Brück. In der Hand hält er ein gebogenes, schwarzes Materialteil - ein Carbonfaserkomposit. Bestehend aus Carbonfasern, die aus Algen gewonnen wurden und versehen mit einer Granitschicht. So könnten in Zukunft Elemente für den Bau von Gebäuden aussehen. Thomas Brück ist Professor für Synthetische Biotechnologie, wobei »methodische Forschungsansätze der Biochemie, Bioinformatik, Katalyse und Bioverfahrenstechnik« gebündelt werden. Und von seinem Lehrstuhl in Garching aus koordiniert er mehrere Großprojekte, die mit der industriellen Nutzung von Algen zu tun haben. Seine Vision: Die grünen Wassergewächse könnte der Bio-Rohstoff der Zukunft sein, vielfach nutzbar, nachhaltig und CO2-reduzierend. Denn das Treibhausgas wird in Form von Zuckern oder Fetten gebunden, beides geeignete Ausgangsstoffe für die chemische oder biotechnologische Weiterverarbeitung. Ölbildende Hefen erzeugen zum Beispiel aus Algenzucker Hefeöl, aus dem sich nachhaltige Kunststoffe herstellen lassen. Oder nach enzymatischer Spaltung in Glycerin und freie Fettsäuren hochwertige Zusätze für Schmierstoffe. Und aus dem Glycerin lassen sich Carbonfasern gewinnen. Und aus Algen kann auch Kerosin für Flugzeuge gewonnen werden, die bisher zum CO2-Anstieg beitragen.

Höherer Hektarertrag als Ölpflanzen

Dass der Professor im Labor auf seinem (Lehr-)Stuhl sitzt, hat etwas mit der Werner-Siemens-Stiftung zu tun. Die hat ihren Sitz im schweizerischen Zug und wurde 1923 von den beiden Töchtern von Carl Siemens - einem von zehn Geschwistern von Werner Siemens - gegründet. Der machte im 19. Jahrhundert Geschäfte in Russland und kaufte sich 1864 im Kaukasus eine Kupfermine, die dann nach der Revolution verstaatlicht wurde. Um das Einkommen der Nachkommenschaft zu sichern, gründeten die Töchter die Stiftung, die heute eine gemischte Stiftung ist und »herausragende Innovationen« In Technik und Naturwissenschaft unterstützt. So auch die Münchner Biotechnologie.

Die Idee, aus Algen Flugzeugtreibstoff zu gewinnen, hat hinsichtlich der CO2-Bilanz schon etwas für sich. Der Fettreichtum der Pflanze ist dabei von entscheidender Bedeutung. Warum? Weil Fett der Energieträger ist, aus dem am Ende Treibstoff hergestellt werden kann. Pro Hektar liegt der Fettanteil bei Algen etwa 30 Mal höher als bei Landpflanzen wie Raps. Neben diesen Effizienz- und Umweltgesichtspunkten spricht auch die biochemische Beschaffenheit für Kerosin aus Algen. Während etwa Rapsöl bei Temperaturen um minus 40 Grad - die Temperatur in der Flughöhe von interkontinentalen Passagierflugzeugen - fest wird und Bioethanol zu wenig Energie enthält, um ein Flugzeug anzutreiben, erfüllt Algenkerosin die Vorgaben für alternative Flugzeugkraftstoffe: Es lässt sich ohne weitere Veränderung oder Zusätze anstelle des Kerosins aus Erdöl verwenden.

Ortswechsel nach Ottobrunn, ebenfalls eine Gemeinde am Rande Münchens, diesmal im Osten. Hier befindet sich an der Willy-Messerschmitt-Straße das »Algentechnikum« der TU. Von außen sieht das Gebäude aus wie ein großes Gewächshaus, denn Wände und Dach bestehen aus Glaselementen, durch die das Tageslicht ins Innere fällt. Nachts leuchtet das Glashaus von innen heraus in grünem Licht. Fast so grün, wie die Flüssigkeit, die hier unentwegt durch sogenannte Reaktoren fließt. Und in der Tat handelt es sich bei dem modernen Bau um ein Gewächshaus: Hier sollen Algen wachsen, die später dann zu Carbonfasern für Bauelemente oder zu Kerosin werden. Insgesamt gibt es an die 150 000 Algenarten, schätzen Wissenschaftler, 5000 davon sind ansatzweise erforscht. Doch nur zehn Algenarten werden bisher kommerziell genutzt. »Das Faszinierende am Algentechnikum ist«, sagt Chemiker Daniel Garbe - er leitet das Algentechnikum -, »dass wir hier fast alle Umweltbedingungen simulieren können, unter denen Algen aufwachsen«.

Dass die Anlage an der Willy-Messerschmitt-Straße liegt, ist kein Zufall. Die anderen Straßen hier sind nach Hugo Junkers, Ludwig Bölkow oder Otto Lilienthal benannt, allesamt Flugpioniere. Das ist auch nicht verwunderlich, steht man hier doch auf einem Gelände des Airbus-Konzerns, hier befindet sich die Zentrale der Rüstungssparte Airbus Defence and Space.

Das Algentechnikum wurde 2015 eingeweiht, die Kosten von zehn Millionen Euro teilten sich Airbus und das Bayerische Wissenschaftsministerium. Es ist Teil des »Ludwig Bölkow Campus«. Dahinter steht die Verzahnung von öffentlich finanzierter Forschung und Privatunternehmen (der Rüstungsindustrie). Die Forschung firmiert unter dem Label »Munich Aerospace e. V.« und hier ist dabei: Die TU München, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Universität der Bundeswehr und Bauhaus Luftfahrt, ein Thinktank in diesem Bereich. Der andere Teil nennt sich Ludwig-Bölkow-Campus GmbH und da sind die Unternehmen Airbus, Siemens und IABG vertreten. Hinter letzterem Kürzel steckt die Industrieanlagen Betriebsgesellschaft mbH, ein von dem damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß 1961 gegründetes Unternehmen, das heute ein »hidden Champion«, also ein »unbekannter Marktführer« als Testdienstleister für die Luft- und Raumfahrtindustrie ist. Zusammenfassend: »Auf dem Ludwig-Bölkow-Campus schlägt das Herz der deutschen militärischen Forschung«, schrieb im November 2016 die »Süddeutsche Zeitung«.

Suche nach optimalen Wachstumsbedingungen

Zurück im Algentechnikum. Betritt man das Glasgebäude, findet man sich in einer sehr warmen Atmosphäre wieder: Im Inneren ist gerade Almaria angesagt. Das heißt, es wird exakt das Klima der andalusischen Hafenstadt simuliert, mit einer Lufttemperatur von etwa 30 Grad Celsius. Und für das Licht sorgen über einhundert LED-Lampen, die speziell für dieses Vorhaben von einer Berliner Firma entwickelt wurden. »Das Licht bringt 30 Watt pro Quadratmeter auf die Wasseroberfläche«, sagt Chemiker Daniel Garbe. Und dieses Licht sorgt für das Wachstum der Picochlorum, einer Mikroalge mit einem Durchmesser von drei bis zehn Mikrometern. Unter idealen Bedingungen - richtige Temperatur, passender Salzgehalt und pH-Wert des Wassers sowie einige Spurenelemente - bringt diese Alge einen Ölertrag von 50 Prozent, im Labor sogar von 70 Prozent, bezogen auf das Gewicht der Trocken-Biomasse, also nach Entfernung jeglichen Wassers außerhalb und innerhalb der Zelle. Ehe das Algenkerosin jedoch breitflächig eingesetzt werden kann, sind noch einige Hürden zu überwinden. So müssten die Verfahren zur Erzeugung des Algenkraftstoffes noch deutlich wirtschaftlicher werden als bis jetzt. Notwendig wären große Wasserbecken für den Algenanbau, zum Beispiel in Wüsten und Halbwüsten unter der Sonne Spaniens, Nordafrikas oder Australiens. Dazu wären Standorte in aller Welt nötig, um den Treibstoff ökologisch sinnvoll zu produzieren.

Am Ludwig-Bölkow-Campus wird übrigens künftig auch »Bavaria One«, das Weltraumprogramm der bayerischen Staatsregierung angesiedelt sein, 700 Millionen Euro stehen zunächst dafür zur Verfügung.

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