Fließband, Kinder, Sport

IG-Metall-Chef Hofmann hat eine Vier-Tage-Woche vorgeschlagen. Volkswagen-Beschäftigte wissen bereits, wie es ist, wenn man mehr Freizeit hat.

Kaum hatte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann eine Vier-Tage-Woche vorgeschlagen, war die erste Umfrage da. Demnach stimmt eine Mehrheit der Idee voll und ganz oder eher zu. Gerade Vollzeit-Beschäftigte wünschen sich oft kürzere Arbeitszeiten, hatte das Statistische Bundesamt bereits im Januar berichtet. Volkswagen hat bereits jahrelang Erfahrungen gesammelt mit der Vier-Tage-Woche. 1994 wurde dort dieses Arbeitszeitmodell eingeführt, um Massenentlassungen zu verhindern. Damals wurde das »Wunder von Wolfsburg« gefeiert und auch wissenschaftlich erforscht.

»Zwischen Volks- und Kinderwagen«: Unter diesem Titel erschien 1998 eine soziologische Studie, die die Auswirkungen der Vier-Tage-Woche beim Autokonzern VW auf die »familiale Lebensführung von Industriearbeitern« untersuchte. Kerstin Jürgens und Karsten Reinecke hatten die Belegschaften mehrerer Werke befragt, mit einem Schwerpunkt auf der Passatfabrik im ostfriesischen Emden, die das Arbeitszeitmodell am konsequentesten umsetzte. Entgegen der in Boulevardmedien verbreiteten Klischees, die über einen (nie empirisch belegten) Anstieg der Schwarzarbeit am VW-Stammsitz in Wolfsburg spekulierten, betonten Jürgens und Reinecke die positiven Effekte kürzerer Wochenarbeitszeiten für die Gesundheit der Beschäftigten und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Gerade für die oft von weither anreisenden Pendler machte es zum Beispiel einen großen Unterschied, wenn sie nicht mehr um vier Uhr morgens aufstehen mussten, um rechtzeitig zum Schichtbeginn an ihrem Arbeitsplatz zu sein. Umgekehrt ergaben sich auch an den Nachmittagen neue Spielräume, die manche Beschäftigte dazu nutzten, mehr mit ihren Kindern zu unternehmen oder mehr Sport zu treiben. Voraussetzung für solche positiven Effekte ist allerdings die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung auf täglicher Basis in Richtung eines 6-Stunden-Tages. Wegen der langen Anfahrtswege bevorzugten bei Volkswagen viele eher Blocklösungen mit zusätzlichen freien Tagen. Doch auch das Konzept vier Tage Schicht, drei Tage Freizeit, wie etwa in Emden lange praktiziert, werteten Beschäftigte als einen Gewinn an Lebensqualität.

Hartz vor den Hartz-Reformen

Entwickelt hatte das innovative Konzept der einstige VW-Manager Peter Hartz. Der spätere Architekt der Agenda 2010 hatte zu jener Zeit in Gewerkschaftskreisen noch einen guten Ruf. Vor dem Hintergrund schon damals drastischer Absatzeinbrüche setzte sich Hartz mit den bei Volkswagen mächtigen Betriebsräten und Gewerkschaftern zusammen und einigte sich auf die flächendeckende Einführung einer befristeten 28,8-Stunden-Woche. Zur Akzeptanz des Kompromisses trug erheblich bei, dass die monatlichen Bruttolöhne der Beschäftigten trotz geringerer Stundenzahl nicht sanken. Für das Unternehmen rechnete sich die Lösung dennoch, weil der Wegfall üppiger Jahressonderzahlungen den Personalkostenetat entlastete.

Als einige Jahre später die Autokonjunktur wieder ansprang und VW zum erfolgreichen Exporteur vor allem nach China avancierte, wurden die betrieblichen Arbeitszeiten schrittweise wieder dem Normalstandard angepasst. Das innovative Zeitmodell geriet weitgehend in Vergessenheit, die IG Metall konzentrierte sich in ihrer Tarifpolitik auf höhere Löhne. Das »Pforzheimer Abkommen« von 2004 ermöglichte es Betrieben sogar, die Arbeitszeit zu verlängern, wenn die Gewerkschaft zustimmt.

In jüngster Zeit entdeckte die IG Metall Arbeitszeitverkürzung wieder, nicht nur um Entlassungen zu vermeiden angesichts des sich abzeichnenden Personalabbaus durch die Umstellung auf Elektroautos. Sondern auch zur Entlastung der Belegschaften. 2018 setzte sie durch, dass Beschäftigte maximal zwei Jahre nur 28 Stunden pro Woche arbeiten können, wenn sie wollen. Das Gehalt wird entsprechend gekürzt. Außerdem können Schichtarbeitende, Eltern und Pflegende ein sogenanntes zusätzliches Tarifentgelt umwandeln in acht freie Tage. Hunderttausende Menschen haben das Angebot in Anspruch genommen, insbesondere Schichtarbeiter.

Nun, mitten in der Corona-Pandemie und einer erneut massiven Absatzkrise in der Branche, geht der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann einen Schritt weiter. In einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« schlug er eine Vier-Tage-Woche vor: Dies »wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben«, sagte Hofmann. Details nannte er nicht, er sprach lediglich von »einem gewissen Lohnausgleich, damit es sich die Mitarbeiter leisten können«. Er sei zuversichtlich, »dass wir auch diesmal eine Lösung in der Kombination von Zeit und Geld finden«.

Nach den Worten des bayerischen IG-Metall-Chefs Johann Horn soll in der nächsten Tarifrunde über die Vier-Tage-Woche als Optionsmodell verhandelt werden. Es geht demnach nicht um eine branchenweite Arbeitszeitverkürzung, vielmehr soll sie in einzelnen Unternehmen vereinbart werden können. Ihre konkrete Tarifforderung beschließt die IG Metall Ende des Jahres.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall äußerte sich zunächst gar nicht zu dem Vorschlag. Der Bayerische Landesverband der Arbeitgeber zeigte sich im »Handelsblatt« zwar offen für eine Arbeitszeitverkürzung in der jetzigen Krise, allerdings ohne Lohnausgleich. Eine generelle Vier-Tage-Woche lehnt der Landesverband ab.

Aus der Politik kamen positive Reaktionen von SPD, Grünen und Linkspartei. Deren Chefin Katja Kipping hatte sich bereits zuvor für eine flächendeckende Einführung einer Vier-Tage-Arbeitswoche ausgesprochen. Michael Theurer von der FDP-Bundestagsfraktion nannte kürzere Arbeitszeiten mit Lohnausgleich »Gift für viele Unternehmen«.

Derzeit gilt in der Metall- und Elektroindustrie eine tarifliche Regelarbeitszeit von 35 Stunden pro Woche. Die tatsächliche Arbeitszeit war in den vergangenen Jahren oft höher, wegen Überstunden und tariflich vereinbarter Mehrarbeit. Bereits seit 1994 können Betriebe die Arbeitszeit verkürzen, um Entlassungen zu verhindern. Allerdings sinkt dann das Gehalt der Beschäftigten entsprechend. Nun will die IG Metall einen »gewissen Lohnausgleich« durchsetzen.

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