Nawalnys Weg in die Charité ist vorerst blockiert

Frau des Kreml-Kritikers fordert Putins Erlaubnis für einen Transport nach Deutschland

  • Ute Weinmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein: Aleksej Nawalny, Russlands bekanntester Oppositioneller, liegt nach einer mutmaßlichen Vergiftung im Koma. Am frühen Donnerstagmorgen trat der Gründer des Fonds zur Bekämpfung von Korruption FBK nach einer Sibirienreise den Rückflug nach Moskau an. Auf dem Flughafen in Tomsk trank er eine Tasse Tee auf nüchternen Magen, und auch im Flugzeug nahm er nichts zu sich. Als ihm schlecht wurde, suchte er die Toilette auf, von dort waren Schreie zu hören. Noch vor der Notlandung im sibirischen Omsk verlor der Politiker das Bewusstsein.

Zunächst herrschte allgemeines Rätselraten. In den ersten 24 Stunden nach der Einlieferung Nawalnys in ein Omsker Krankenhaus änderten die leitenden Ärzte ihre Meinung gleich mehrmals. Mit detaillierten Auskünften hielten sie sich zurück. Zwischenzeitlich teilte der nach Omsk gereiste FBK-Direktor Iwan Schdanow mit, die Polizei habe von einer nicht näher definierten »tödlichen Substanz« gesprochen, die auch für Umstehende eine Gefahr darstelle. Dann hieß es im Rettungskrankenhaus wiederum, es seien keine Toxine gefunden worden. Chefarzt Alexander Murachowskij nannte als Diagnose eine Stoffwechselstörung.

Weil eine Vergiftung aber nicht auszuschließen ist, war eine Verlegung in die Berliner Charité im Gespräch. Dort wurde der umtriebige einstige Pussy-Riot-Manager Pjotr Wersilow 2018 nach einer vermuteten Vergiftung mit ähnlichen Symptomen behandelt. Auf seine Vermittlung hin organisierte die Cinema for Peace Foundation den Flug einer für den Transport von Koma-Patienten ausgestatteten Sondermaschine, aber am Freitagmorgen hieß es dann plötzlich, Nawalny sei nicht transportfähig. Seine Frau Julia fordert den Kreml auf, ihren Mann zur Behandlung ausreisen zu lassen. Erst am Nachmittag wurden die eingeflogenen Berliner Ärzte ins Krankenhaus gelassen.

Es ist unbestreitbar, dass in der Charité bessere Voraussetzungen dafür gegeben sind als in einem durchschnittlichen russischen Regionalkrankenhaus. Wenn hier auf Zeit gespielt wird, verstärkt sich nur der Verdacht, Nawalny könnte möglicherweise mit einer Substanz in Berührung gekommen sein, deren Spuren sich Tage später nicht mehr nachweisen lassen. In der jüngsten Geschichte gab es immer wieder Fälle, in denen Gifte gegen harsche Kritikerinnen und Kritiker des Kremls zum Einsatz kamen. Hier sei an die Journalistin Anna Politkowskaja erinnert, die auf einem Flug ins ossetische Beslan 2004 Vergiftungserscheinungen zeigte. Oder an den ehemaligen KGB-Offizier Alexander Litwinenko, der sich nach Großbritannien abgesetzt hatte und an den Folgen einer Vergiftung mit radioaktivem Polonium starb. Meistens jedoch endet die Suche nach etwaigen Toxinen ergebnislos.

Nawalny ist eine umstrittene Figur. Er verfügt über eine relevante Anhängerschaft, aber selbst in der Opposition kritisieren ihn viele wegen seiner nationalistischen Ansichten, andere wiederum wegen linkspopulistischer Vorstöße. Er steht nicht für Bündnispolitik, aber er ist in der Lage, weitaus mehr Menschen zu mobilisieren als andere oppositionelle Gruppen. Schon aus diesem Grund mag die Befürchtung plausibel klingen, Nawalny könnte zum wiederholten Mal Opfer eines politischen Anschlags geworden sein, um die Ausweitung der Protestwelle in Belarus auf Russland zu verhindern. Doch trotz Solidaritätsbekundungen bleibt es dort noch relativ ruhig - mit Ausnahme der seit vielen Wochen anhaltenden Proteste in Chabarowsk.

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