Diesmal klein, dezentral und ganz anders

In Frankreich musste das Pressefest der kommunistischen »L‘Humanité« wegen der Corona-Pandemie erstmals seit 1945 abgesagt werden. Alternative Events geplant

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Pressefest der kommunistischen Zeitung »L‘Humanité«, das wie jedes Jahr Mitte September drei Tage lang stattfinden sollte, musste wegen der Coronaepidemie abgesagt werden. Das größte Volksfest Frankreichs ist Jahr für Jahr das Ziel von - je nach Wetter - 300 000-600 000 Menschen. Doch gegenwärtig darf keine Veranstaltung die Zahl von 5 000 Teilnehmern überschreiten und bei denen muss die Einhaltung der Abstands- und Maskenpflicht gesichert sein. Daher kam ein Fest in der üblichen Form nicht in Frage, schon aus Rücksicht auf die Gesundheit der Besucher, der Organisatoren und Helfer als auch der Anwohner. Es wäre in diesem Jahr das 85. gewesen, denn es wurde erstmals 1930 veranstaltet und fiel nur in den Kriegsjahren 1939-1944 aus. In den ersten Jahren wurde es auf einer großen Lichtung im Stadtwald am südöstlichen Rand von Paris abgehalten, doch seit Jahrzehnten hatte es jetzt schon seinen angestammten Platz weiter außerhalb im Park der Pariser Vorstadt Dugny nahe dem historischen Flughafen Le Bourget.

Das im Volksmund »Fête de l‘Huma« genannte Ereignis leitet traditionell nach der Sommerpause den oft »heißen sozialen Herbst« ein. Es ist für die Kommunistische Partei und ihre Zeitung eine Gelegenheit, über die Parteimitglieder und ihre Familien hinaus neue Menschen anzuziehen und so die Schar der Sympathisanten zu erweitern. Die thematischen Podiumsdiskussionen, die mal mehr, mal weniger interessant sind und entsprechend unterschiedlich viele Zuhörer anziehen, sind seit einigen Jahren - wie die Partei und die Zeitung - offener und aufgeschlossener, so dass daran auch immer mehr Vertreter anderer linker Parteien und Organisationen, gelegentlich sogar einige rechtsbürgerliche Oppositionspolitiker, ohne Berührungsängste teilnehmen. Viele Besucher des Pressefestes kommen vor allem wegen der Konzerte. Auf der großen Bühne sind schon fast alle namhaften Sänger des Landes aufgetreten. Doch nicht viel weniger Menschen sieht man auf der Rasenfläche vor der großen Bühne, wenn am Sonntagnachmittag der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei seine Rede hält und zum Abschluss gemeinsam die Internationale gesungen wird.

Vom Pressefest nicht wegzudenken ist auch die »Bücherhalle«, die mit ihren vielen hundert Buchtiteln für drei Tage zu einer der größten Buchhandlungen des Landes wird und wo entlang der Wände hinter langen Tischen Autoren sitzen, die ihre Bücher signieren und mit Lesern diskutieren. Im »Internationalen Dorf« sind befreundete Parteien und Organisationen aus aller Welt sowie deren Zeitungen mit eigenen Ständen vertreten, um über ihre Länder, ihre Probleme und ihre Kämpfe zu informieren. Zum Pressefest gehören aber nicht zuletzt die vielen Stände und Zelte der KP-Organisationen der verschiedenen Departements, wo regional typische Speisen und Getränke angeboten werden. Dieser Umsatz ist für sie wichtig, um die Kasse für die Aktivitäten der nächsten zwölf Monate aufzufüllen. Wie für diese Organisationen, so ist das Pressefest auch für die Partei und ihre Zeitung eine wichtige Finanzierungsquelle. Entsprechend kommt es einer Katastrophe gleich, dass in diesem Jahr nur Kosten anfallen - für langfristig geschlossene Verträge mit Lieferanten, Dienstleistern und Künstlern - und dem keine Einnahmen entgegenstehen werden. Für die »L‘Humanité« ist das eine harte Herausforderung, denn die Zeitung steht schon seit Monaten wegen Zahlungsunfähigkeit unter »Beobachtung« des Handelsgerichts, das sämtliche Schulden vorläufig eingefroren hat und dem Blatt so die Chance geben will, seine finanzielle Basis zu sanieren. Darum hat jetzt der »L'Humanité«-Direktor Patrick Le Hyaric die Leser und Sympathisanten des Blattes dazu aufgerufen, statt der 25 Euro teuren Eintrittskarte für drei Tage Pressefest einen Spendenbon im selben Wert zu kaufen, um so der Zeitung im Überlebenskampf zu helfen. Gleichzeitig hat er angekündigt, dass die Zeitung für ihr Pressefest eine Alternative gefunden hat, indem einige der Podiumsdiskussionen, kleinere Konzerte und andere Veranstaltungen über verschiedene Pariser Stadtviertel oder kommunistisch geführte Vorstadtgemeinden verteilt werden. So besteht nirgends die Gefahr, dass mehr als die maximal erlaubten 5 000 Menschen zusammenkommen. Ein großes Zelt für Bücher und ihre Autoren wird im Zentrum des Pariser Arbeiterviertels Belleville aufgeschlagen, eine Ausstellung von Street Art wird in einem Vorstadtpark gezeigt und Debatten über aktuelle soziale Probleme und Kämpfe finden am Sitz der Gewerkschaft CGT in der Pariser Arbeitervorstadt Montreuil statt. Auch das Gebäude der Kommunistischen Partei im Osten von Paris wird einbezogen. Hier finden im Konferenzsaal und in den verschiedenen Sitzungssälen Veranstaltungen zu aktuellen internationalen Themen statt.

Selbst wenn - wie zu hoffen ist - die Coronaepidemie bis dahin überwunden sein wird, kann auch das Pressefest im September 2021 nicht wie gewohnt ablaufen. Bis zu diesem Termin muss ein neuer Ort gefunden werden, denn in dem Park, wo das Huma-Pressefest nun schon seit vielen Jahren stattfand, beginnt in wenigen Monaten der Bau des Presse- und Medienzentrums für die Olympischen Spiele Paris 2024.

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