Die alltägliche Emanzipation lernen

Zum Tod der unerschrockenen Defa-Dramaturgin Erika Richter

  • Günter agde
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie war immer sehr resolut, manchmal auch unerbittlich. Aber immer und bei jeder Gelegenheit setzte sie sich für Frauen ein: Für Frauen im männerdominierten DDR-Filmbetrieb und vor allem für Frauenfiguren im Film. Über 15 Jahre lang arbeitete sie als stoffführende Dramaturgin im Defa-Spielfilmstudio und hat dort wichtige Spielfilme begleitet, was meist eine stille, öffentlichkeitsferne Arbeit mit Manuskripten, Änderungen, neuen Vorschlägen war.

Evelyn Schmidts Filme »Seitensprung« (1979) oder »Das Fahrrad« (1980) waren beispielsweise ohne Richter nicht denkbar: Schmidts Filmfrauen lernen alltägliche Emanzipation. Lothar Warneke machte mit »Die Beunruhigung« (1981) und mit »Eine sonderbare Liebe« (1984) auf die Lebenswege »älterer« Frauen in der DDR aufmerksam, beide Hauptrollen von Christine Schorn gespielt. Rainer Simons Film »Jadup und Boel« (1981) über einen unangepassten Kleinstadt-Bürgermeister (gespielt von Kurt Böwe) war lange Jahre verboten. Auch an Roland Gräfs »Fariaho« (1982) und an Filmen von Siegfried Kühn hat Richter mitgewirkt. Mit Heiner Carow hat sie drei Filme gemacht. Dass Carows Herzensprojekt, die Rockoper »Paule Panke«, nicht realisiert werden konnte, hinterließ auch bei ihr eine Narbe. Mit Herwig Kipping aus der jüngsten und letzten Generation von Defa-Regisseuren entwickelte sie seinen Film »Das Land hinter dem Regenbogen« (1991), ein wildes, experimentierfreudiges Werk über den Abschied von Utopien, der in den Wendezeiten kaum Beachtung fand.

Die Frauenfiguren in »ihren« Filmen waren immer Persönlichkeiten mit eigenem Profil, selbstbewusst, voll innerer Stärke und Widerstandskraft, auch erotisch und von herber Schönheit.

Dass sie dennoch nie deckungsgleich mit der Dramaturgin waren, hatte mit dem Kunstvermögen ihrer Partner, vor allem der Schauspieler, zu tun. Richters Unerschrockenheit trug ihr in der Männerwelt der Defa auch schon mal ein Lächeln ein, das eher ein Belächelt-Werden war. Aber ihr Anliegen geriet dadurch nicht aus der Welt - dank ihrer Hartnäckigkeit. Sie wollte nie eigene Filme drehen - ihre eigene Kraft und Fantasie flößte sie den Figuren ein, die sie mitgestalten half. Alle ihre Filme gehören zum Interessantesten, was die ostdeutsche Nachkriegskinemathographie, also die Defa, hervorbrachte.

Nach dem Ende der Defa konnte sie weiter gestalten: Durch Zufall, mit ein bisschen Glück und mit ihrem Mut und der stillen Hilfe ihres Mannes Rolf (einem mittlerweile legendären Filmwissenschaftler) konnte sie von 1992 bis 1999 die Monatsfachzeitschrift »Film und Fernsehen« herausgeben - mit einem sehr modernen Layout, mit neuen Autoren und vor allem mit all jenen Themen und Projekten, die zu DDR-Zeiten tabuisiert worden waren. Und natürlich mit vielen Frauenthemen.

Erika Richter hatte früh beim Film begonnen: Sie gehörte zu den ersten Studentinnen der Babelsberger Filmhochschule (ab 1956), lernte und lehrte kurzzeitig in Moskau und Kairo (eine stille Liebe zum ägyptischen Film ist ihr lange Jahre geblieben). An der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (weiland zu DDR-Zeiten eine erste Adresse für »besondere Kader«) promovierte sie 1975 über »Alltag und Geschichte in Defa-Gegenwartsfilmen der siebziger Jahre«. Der spröde Titel verbirgt ein flammendes Plädoyer und eine sachgerechte Analyse, deren beste Kapitel den Defa-Frauenfiguren jener Jahre galten, abseits von Klischees und Ideologie-Parolen.

Die kleine Festschrift, die die Defa-Stiftung zu ihrem 80. Geburtstag herausgab, trägt den Titel »Liebe zum Kino«. Das träfe es, wenn man Erika Richters Liebe zu Frauen im Film und in Filmberufen hinzufügte. In dem Heft sind auch viele Texte Richters wiederzulesen - mit Gewinn, denn genau so wie sie leidenschaftlich stritt, so schrieb sie auch: immer mit klarer Meinung, sachlich bis ins Penible, deutlich und in ihrer Argumentation nachvollziehbar, auch wenn man anderer Meinung als sie sein konnte. Sie hat gern und viel in der Fachpresse publiziert.

Am Montag ist Erika Richter im Alter von 82 Jahren in Berlin verstorben.

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