Berliner Polizei zieht vor das Oberverwaltungsgericht

Vize-Regierungschefin Ramona Pop: »Wir gucken besorgt auf dieses Wochenende und rufen zur Besonnenheit auf«

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Berlin. Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Verbotsverfügung der Polizei für eine geplante Demonstration gegen die Corona-Politik gekippt. Die Veranstaltung am Samstag könne unter Auflagen stattfinden, sagte ein Gerichtssprecher am Freitag der dpa.

Der Anmelder habe durch die Bereitstellung von 900 Ordnern und hundert Deeskalationsteams »hinreichende Vorkehrungen« getroffen, entsprechend auf die Versammlungsteilnehmer einzuwirken, teilte das Gericht am Freitag mit. Aus dem Konzept des Anmelders sei demnach nicht zu erkennen, dass er das Abstandsgebot bei der für 22.500 Menschen angemeldeten Veranstaltung »bewusst missachten« werde.

Eine solche Prognose lasse sich weder aus dem Verlauf der Versammlung am 1. August noch aus der kritischen Haltung der Teilnehmer zur Corona-Politik ableiten, erklärte das Gericht. Außerdem bemängelte das Gericht, die Versammlungsbehörde habe nur unzureichend Alternativen zu einem Versammlungsverbot geprüft wie etwa die Änderung des Orts oder eine Begrenzung der Teilnehmerzahl.

Allerdings muss der Veranstalter dem Urteil zufolge weitere Auflagen beachten: Im Bühnenbereich müssen Gitter aufgestellt werden, auch muss regelmäßig auf die Mindestabstände hingewiesen werden. Die Versammlungsbehörde darf außerdem weitere Auflagen zur Einhaltung des Mindestabstands erlassen.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Die Berliner Polizei legte am Freitagnachmittag Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein, wie ein Gerichtssprecher sagte. Die Begründung der Polizei werde noch bis 18.30 Uhr nachgereicht, hieß es. Dann erhalten die Veranstalter der Demonstration noch einmal Gelegenheit zu einer kurzen Stellungnahme. Voraussichtlich will das OVG noch am (heutigen) Freitagabend seine Entscheidung verkünden.

Sollte das OVG die Aufhebung des Demonstrationsverbots bestätigen und damit den Veranstaltern Recht geben, wäre diese Entscheidung rechtskräftig. Die Polizei hätte dann keine Möglichkeit mehr für einen Einspruch.

Würde das OVG hingegen die Entscheidung der ersten Instanz aufheben und der Polizei mit ihrem Verbot Recht geben, könnten die Anmelder der Demonstration kurzfristig noch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als dritte und letzte Instanz anrufen.

+++ Kanzlerin Merkel zeigt Verständnis für das Verbot +++

Die Berliner Polizei hatte zuvor eine für Samstag in der Hauptstadt geplante Demonstration mit 22.000 angemeldeten Teilnehmern der »Initiative Querdenken 711« untersagt. Bei dem zu erwartenden Teilnehmerkreis sei mit Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung zu rechnen, hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärt, der aber auch angab, »Corona-Leugnern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten« keine Bühne bieten zu wollen. Die Veranstalter gingen rechtlich gegen das Verbot vor.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hatte das Verbot der geplanten Demonstration noch am Donnerstagabend verteidigt. Wenn schon von Anfang an angekündigt werde, Corona-Regeln nicht zu achten, dann sei das von vornherein eine Gefährdung vieler Menschen, sagte Müller. Das gelte nicht nur für die Teilnehmer selbst. »Die Demonstranten gehen zurück, sie fahren mit dem ÖPNV nach Hause, sie gehen an den Arbeitsplatz, sie gehen in die Familie. Und überall bei diesen Kontakten gefährden sie wieder andere«, sagte Müller. »Und sie senden ein Signal aus, dass nicht wichtig ist, was im Zusammenhang mit der Pandemie beschlossen wird. Das können wir so nicht akzeptieren.«

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte am Donnerstag Verständnis für das Berliner Verbot. »Dass Berlin natürlich auch sehr viel Wert darauf legt, dass auch Demonstrationen Hygienevorschriften unterliegen, ist klar. Also: Respekt dafür«, sagte die CDU-Politikerin.

Unterdessen bereitete sich die Polizei auf das Wochenende und besonders den Samstag vor. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte bereits angekündigt, die Polizei werde mit mehreren Tausend Beamten präsent sein, um entweder das Demonstrationsverbot oder aber harte Bestimmungen für die Protestierer durchzusetzen.

Berlins Vize-Regierungschefin Ramona Pop (Grüne) sagte, massenhafte und massive Gewaltandrohungen im Internet nach dem Demoverbot hätten im Senat für Entsetzen gesorgt. »Wir gucken besorgt auf dieses Wochenende und rufen zur Besonnenheit auf«, sagte Pop. Sie hoffe, dass es nicht zu einer Gewalteskalation komme, wie sie im Netz von manchen angekündigt werde.

Polizisten luden am Donnerstag zahlreiche Absperrgitter an den Straßen im Regierungsviertel nahe dem Reichstagsgebäude und dem Bundeskanzleramt ab. Schon im Frühling und im Frühsommer hatten die Sicherheitskräfte mit weiträumigen Absperrungen versucht, verbotene Demonstrationen oder zu große Menschenansammlungen an einzelnen Plätzen zu verhindern. Nicht immer war ihr das auch gelungen. Anhänger von »Querdenken« bauten bereits in den vergangenen Tagen ein Dutzend Zelte auf einem Parkplatz im Tiergarten am Regierungsviertel auf.

Keine Abgrenzung nach rechtsaußen
In den lokalen Gruppen von »Querdenken« bleiben verschwörungsideologische Inhalte unwidersprochen

Inzwischen hat ein breites Bündnis zu einer Gegenkundgebung unter dem Motto #AnstandhaltengegenRechts auf dem Bebelplatz aufgerufen. Agenturen/nd

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