nd-aktuell.de / 01.09.2020 / Politik / Seite 2

Eine Strategie der absoluten Kontrolle

Der Anwalt für Menschenrechte Alirio Uribe Muñoz über das Vorgehen der kolumbianischen Regierung von Präsident Iván Duque

Knut Henkel

Rund zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Iván Duque steigt die Gewalt in Kolumbien immer weiter an - wie beurteilen Sie die bisherige Bilanz des Präsidenten?
Sie ist fürchterlich. Wir haben immer gesagt, dass Iván Duque im Kontext des Nein zum Referendum über das Friedensabkommen vom Oktober 2016 gewählt wurde.

Ziel der Rückkehr des Uribismo (rechtes Lager um Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez, d. Red.) an die Macht ist, das Friedensabkommen und dessen Implementierung zu verzögern, zu blockieren und laufende Prozesse zu unterbinden. Zwar hat Iván Duque keine parlamentarische Mehrheit, aber er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Prozesse zu unterlaufen - durch die Verweigerung von Mitteln, die Ernennung von Vertrauten an die Spitze von wichtigen Institutionen und die Nicht-Umsetzung vereinbarter und gesetzlich fixierter Maßnahmen.

Die Folgen sind verheerend. Aus der Perspektive der Menschenrechte und der Befriedung Kolumbiens sind das verlorene Jahre und ich habe keine Hoffnung, dass sich bis zu den Wahlen Ende Mai 2022 an diesem Szenario irgendetwas ändern wird.

Der Rückschlag für den Friedensprozess geht mit immer mehr Gewalt einher ...
In diesem Jahr wurden bisher 48 Massaker und 192 Morde an Umwelt-, Landrechts- und Menschenrechtsaktivisten registriert. Die Situation hat sich weiter verschärft und immer größere Regionen des Landes sind de facto militarisiert. Die Dissidenten der FARC-Guerilla sind stärker geworden, die ELN, die zweite linke Guerilla, ebenfalls und auf der anderen Seite haben wir es mit mehr als 30 paramilitärischen Gruppen, vom Clan de Golfo über die Caparrapos bis zu den Aguilas Negras zu tun.

In Regionen wie dem Cauca, Nariño, Chocó oder Norte de Santander tobt ein Krieg um Drogenrouten, aber auch um Claims im Bergbau. Die Situation ist gravierend, wird durch die Pandemie weiter verschärft und davon profitiert die Regierung. Sie regiert im Ausnahmezustand mit Dekreten.

Was bedeutet in diesem Umfeld die Verhaftung des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez?
Sie ist ein Signal. Auf die Verhaftung haben wir lange gewartet, denn schon bevor Uribe Vélez Präsident wurde, war er als Gouverneur von Antioquía für die Nähe zu den Paramilitärs bekannt. Schon aus dieser Zeit gibt es zahlreiche Anzeigen, Aussagen und Klagen, aber alle diese Verbrechen blieben aus unterschiedlichsten Gründen straffrei. Viele Menschen in seinem Umfeld - Generäle, Politiker, Verwandte - landeten im Gefängnis, nur Álvaro Uribe nicht. Nun droht Uribe Bestechung und Manipulation von Zeugenaussagen zum Verhängnis zu werden, aber eben kein Kapitaldelikt, auch wenn noch weitere Ermittlungen laufen. Das erinnert an die Geschichte von Al Capone, der schließlich wegen Steuervergehen verurteilt wurde.

Uribe ist vom Obersten Gericht des Landes, der Corte Suprema, unter Hausarrest gestellt worden und bereitet nun seine Verteidigung vor: Ein erster Schritt ist das Niederlegen seines Senatoren-Mandats. Was auf den ersten Blick ehrenwert anmuten mag, ist Strategie, denn die Anklagen könnten an die Generalstaatsanwaltschaft weitergereicht werden. Und die leitet mit Francisco Barbosa Delgado ein Jugendfreund von Präsident Iván Duque. Unter ihm hat die Staatsanwaltschaft jede Autonomie verloren. Das könnte dazu führen, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Strategie der Regierung ist es, mehr und mehr Institutionen unter ihre Kontrolle zu bekommen - auch außerhalb der Justiz. Die Partei Uribes und des Präsidenten Iván Duque, das Centro Democrático, die 51 Abgeordnete und gute Kontakte in die Medien haben, verfolgt eine Verfassungs- und Justizreform.

Es hat den Anschein, dass es eine Kampagne gegen die Justiz gibt - Richter werden angegriffen als Linke, als FARC-Richter, als Guerilla-Richter - wer steckt dahinter?
Die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz sind dabei nicht neu, denn Uribe Vélez hat schon als Präsident Richter durch den Geheimdienst DAS ausspionieren lassen - die Unabhängigkeit der Justiz war ihm schon damals ein Dorn im Auge. Unter anderem, weil die Richter die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitärs untersuchten, etliche Parlamentarier verurteilten und so die extreme Rechte schwächten.

Ziel der Kampagne ist es, den Ex-Präsidenten als Opfer der Justiz darzustellen und Druck auf die Justiz auszuüben.