»Was kann der Staat für dich tun?«

Flügelkämpfe bei US-Demokraten gehen weiter, wie die umkämpften Vorwahlen in Massachusetts zeigen

  • Tamara Kamatovic
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Erfolg und eine Niederlage: Am Dienstag wurde in Massachusetts in zwei für die Parteilinke wichtigen Vorwahlkämpfen der Demokratischen Partei abgestimmt. Entschieden wurde über die Kandidat*innen für einen Sitz im Senat und einen im US-Repräsentantenhaus.

Für den Erfolg sorgte der bei Umweltaktivist*innen beliebte Senator Ed Markey, der neben Alexandria Ocasio-Cortez ein Mitautor des »Green New Deals«-Gesetzentwurfs der Demokraten ist. Markey verteidigte seine Kandidatur um den von ihm besetzten Sitz im Senat gegen den Herausforderer Joe Kennedy III. Ein fast schon historischer Erfolg: Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der Kennedy-Familie eine Wahl in Massachusetts verlor. Wegen des Namens Kennedy und der Bedeutung des Wahlkampfs spendeten Organisationen über 20 Millionen US-Dollar.

Im ersten Wahlbezirk hingegen gewann ein Vertreter des Parteiestablishments und mächtiger politischer Veteran der Demokraten: Nach einer viel diskutierten Schmutzkampagne bezwang Richard Neal seinen linken Herausforderer Alex Morse und tritt nun im November an, seinen Sitz im US-Repräsentantenhaus zu verteidigen.

Markey gewann mit 55,5 Prozent der Stimmen, Neal erhielt nach der vorläufigen Auszählung 59 Prozent der Stimmen. Trotz der Covid-19 Pandemie war die Wahlbeteiligung hoch. An den Vorwahlen für den Senat nahmen über eine Million Menschen, an denen für den ersten Bezirk des Bundesstaates über 100 000 im Wahlkampf teil. Viele Stimmen wurden per Briefwahl abgegeben.

Der Wahlkampf um den ersten Bezirk sorgte für Schlagzeilen, als dem 31-jährigen offen homosexuellen Bürgermeister von Holyoke, Alex Morse, unangemessenes sexuelles Verhalten gegenüber Studenten vorgeworfen wurde. Daraufhin untersuchten Journalist*innen für die publizistische Website »The Intercept« den Fall und wiesen nach, dass es sich um eine schon im April begonnene Intrige handelte, die von Funktionär*innen bei den »Massachusetts College Democrats« zusammen mit Mitgliedern der Spitze der Demokratischen Partei Massachusetts geführt wurde. Ziel war es, Morse im Wahlkampf zu diskreditieren. Die Vorwürfe lösten homophobe Reaktionen aus, für die sich die »Massachusetts College Democrats« bei Morse im August entschuldigten.

Die harten Bandagen, mit denen in diesem Wahlkampf gekämpft wurde, stellten ein Novum bei den Demokraten in Massachusetts dar. So spendeten sowohl linke Organisationen wie Interessensvertreter*innen aus der Wirtschaft jeweils insgesamt über eine Million Dollar für den Wahlkampf.

Mit seiner Wiederwahl sicherte Neal seine Position als Vorsitzender des einflussreichen »Ways and Means Komitees« ab, das über die Verwendung von Steuereinnahmen sowie über Gelder für soziale Programme entscheidet. Im Fall eines Wahlsiegs von Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen würde Neal, dessen Sieg gegen den republikanischen Herausforderer als sicher gilt, großen Einfluss im Gesundheitssektor ausüben können.

Joe Kennedys Niederlage zeigt, dass sich der berühmte Ausspruch seines Großonkels »Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst« ins Gegenteil gewandt hat. Darauf spielte auch der Sieger Ed Markey in einem Wahlkampfvideo an, das mit der Frage endet: »Was kann der Staat für dich tun?«

Trotz des Alters des 74-jährigen Senators und der Jugendlichkeit seines 39-jährigen Konkurrenten wurde Markey vor allem von jungen Aktivist*innen wie der Teenager-Umweltschutzorganisation »Sunrise Movement« unterstützt. Scheinbar hatte Kennedy mit dem jugendlichen Enthusiasmus von Markeys Anhänger*innen nicht gerechnet, als er den Amtsinhaber herausforderte. Anfangs war es ein Ziel der Kennedy-Kampagne, Markey bei US-Jugendlichen, die sich mehrheitlich als links und progressiv verorten, als nicht links genug zu diskreditieren. So schrieb seine Pressesprecherin im März auf Twitter, dass Markey »kein Bernie Sanders« sei und bezog sich auf Markeys Unterstützung für den Irak-Krieg 2003 sowie für das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA und das »tough on crime«-Gesetz von 1994. Am Ende wandte sich Kennedys Kampagne aber zunehmend dem Establishment zu. Er unterlag trotz der Unterstützung von mächtigen Parteimitgliedern wie Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die überraschenderweise eine Wahlempfehlung für ihn aussprach.

Nach dem Sieg von Joe Biden über Bernie Sanders im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur wendeten sich viele Linke dem Kampf um den Sitz im Senat in Massachusetts zu. Obwohl er keinen klassischen »linken« Demokraten darstellt, zeigte sich Markey bereit, mit Parteilinken zusammenzuarbeiten: So unterstützte er relativ früh Alexandria Ocasio-Cortez und andere junge linke Politiker*innen des US-Repräsentantenhauses und brachte den Gesetzesvorschlag des »Green New Deal« in den Senat ein. Aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit Umweltthemen konnte er im Wahlkampf Kräfte hinter sich vereinen, die vermutlich wahlentscheidend waren. Dazu zählten progressive Gruppen wie die aus Bernie Sanders Wahlkampf im Jahr 2016 entstandene Organisation »Our Revolution« sowie die überregionale Organisationen wie »The Sunrise Movement«. Auf lokaler Ebene unterstützten Lehrer*innengewerkschaften, Friedensorganisationen und Umweltsaktivist*innen aus Massachusetts Markey.

Die Ergebnisse in Massachusetts verdeutlichen, dass die Zukunft der Parteilinken in der Zusammenarbeit liegt. Die Schmutzkampagne gegen Morse und seine Niederlage zeigen jedoch auch, wie fragil diese Koalitionen sein können: So entzogen ihm sowohl die lokale wie die überregionalen Vertretungen von »Sunrise Movement« ihre Unterstützung, als die Vorwürfe sexueller Belästigung bekannt wurden. Als sich diese als haltlos erwiesen, unterstützen sie ihn wieder, jedoch war der Schaden schon angerichtet. Beide Siege zeigen, dass die Flügelkämpfe innerhalb der Demokratischen Partei nicht verschwinden werden und von neuen Allianzen, aber auch von zunehmender Brutalität und Skrupellosigkeit geprägt sind.

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