20 Jahre Knoten knüpfen

Das alternative Leipziger Abgeordnetenbüro Linxxnet feiert Jubiläum – und ist erwachsen geworden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Wochenende wird Connewitz zur »sozialen Kampfbaustelle«. Linke Gruppen wollen sich in dem Leipziger Stadtteil vernetzen – für den Kampf gegen »Faschist*innen außerhalb und innerhalb des Staates und Immobilienhaie«, wie es in einem Aufruf heißt. Es gibt Vorträge, eine Demo, viel Kultur – und mittendrin eine Geburtstagsparty: Das linke Abgeordnetenbüro Linxxnet wird 20 Jahre.

Die Ereignisse könnten nicht besser zusammentreffen. Das Linxxnet wurde zwar im Jahr 2000 von jungen Politikern der PDS gegründet, verstand sich aber stets als Teil einer breiteren, auch außerparlamentarischen Bewegung und hatte zum Ziel, diese untereinander und mit der parlamentarischen Politik zu vernetzen. Von »Knoten knüpfen« war oft die Rede. Um den einladenden Charakter zu betonen, zog man in ein Geschäft an einer belebten Hauptstraße. Vom Schild des Vormieters »Computer-Revolution« wurde nur der erste Wortbestandteil gestrichen.

Heute ist das Linxxnet in einer ruhigeren Straße ansässig – was noch kein Indiz für ein Älterwerden ist. Schüsse auf die Scheiben des einstigen Büros führten zur Kündigung durch die Vermieterin, sagt Jule Nagel, die örtliche Landtagsabgeordnete der Linken und Mitbetreiberin. Neue Räume sind im von Gentrifizierung betroffenen Stadtteil schwer zu finden. Schließlich landete das Büro in einer ehemaligen Konsum-Filiale, für deren Erhalt man zuvor vergebens gekämpft hatte.

Der Anspruch des Linxxnet hat sich in 20 Jahren nicht geändert. Es ist ein Büro von Abgeordneten und Partei, steht aber auch Gruppen von Mieterinitiativen über die landwirtschaftliche Kooperative »Rote Bete« bis zu einer Gefangenengewerkschaft offen. Ein 3D-Drucker kann genutzt werden, bald soll ein Reparaturcafé einziehen. Im Kern sei das Büro ein Stadtteilladen, der Bewohnern und Initiativen vielseitig zur Seite stehen wolle. »Wir kümmern uns, aber nicht mit einem paternalistischen, sondern mit einem partizipativen Ansatz«, sagt Nagel. Den Anspruch der einstigen PDS als »Kümmererpartei« erfülle man »auf neue Weise«.

In der Partei stieß die Idee anfangs nicht nur auf Begeisterung. Einerseits wurde das Linxxnet bald Modellprojekt für strukturelle Reformen in der PDS, zugleich bemängelten Genossen aber den »Mangel an Sekundärtugenden« und fehlenden Nutzen für die Partei in Form ausgefüllter Mitgliedsanträge.

20 Jahre später herrscht an Wänden und in Schaufenstern noch immer ein kreatives Chaos, das einem traditionellen Ordnungsbegriff widerspricht. Wirkungslosigkeit aus Sicht der Partei wirft dem Büro aber keiner mehr vor. Dass Nagel im Leipziger Süden zweimal das Direktmandat für den Landtag gewinnen konnte, liegt maßgeblich an ihrer im Linxxnet beförderten strukturellen Vernetzung im Stadtteil. Zugleich scheint dieses eine gute Schule für die professionelle Politik zu sein. Mitbegründerin Heike Werner ist heute Sozialministerin in Thüringen; Berlins Bausenator Sebastian Scheel war einst als Mitarbeiter eines Abgeordneten im Linxxnet tätig; und die zeitweilige Brandenburger Sozialministerin Susanna Karawanskij absolvierte hier ein Praktikum.

Adam Bednarsky, Stadtchef der Linken in Leipzig, nennt das Linxxnet denn auch einen »etablierten Bestandteil unserer Partei, der nicht mehr wegzudenken ist«. Er sieht das Büro als Ausdruck für deren »Erneuerung« in der Zeit seit 2000. Die Linke sei tendenziell jünger, pflege als Mitgliederpartei einen anderen Habitus, lege Wert auf Teilhabe und Vernetzung mit der Zivilgesellschaft. An Einrichtungen wie dem Linxxnet sei diese Veränderung früh sichtbar geworden; heute präge sie die Partei vielerorts – auch jenseits des Linxxnet und seiner »Ableger«.
Dessen Modell fand Nachahmer in »Doppel-X-Büros« in Erfurt, Berlin oder Göttingen. In Leipzig gibt es ein »Tochterbüro« im Westen der Stadt. Das »Interim«, von Nagels Landtagskollegen Marco Böhme begründet, sei ebenfalls Ort der Vernetzung; es treffen sich Erwerbslosenhilfe, »Seebrücke« oder die Linke-Basisorganisation »Wilder Westen«, sagt Dirk Apitz, der sich erst ehrenamtlich im Büro engagierte und aufgrund dessen später auch Genosse wurde. Der Werbeeffekt für die Partei, sagt er, sei nicht zu unterschätzen. Das gilt in vielerlei Hinsicht. Linxxnet & Co. seien heute »exponierte Repräsentanten« der Linken in Leipzig, sagt Bednarsky – was Folgen hat. Er beobachtet, dass im einst »unangepasst-trotzigen« Projekt inzwischen stärker nach Lösungen für politische Probleme gesucht und auch deren öffentliche Wirkung ins Kalkül gezogen werde. »Das gehört zum Erwachsenwerden dazu«, sagt er.

Mit der Einschätzung liegt er nicht weit von Nagel entfernt. Sie fragt sich, ob das Linxxnet im 20. Jahr seines Bestehens noch im einst erhofften Maße »Ideengeber in der Partei« sei, der auch unbequeme Denkanstöße gibt. Mit Thesen zur Chinapolitik oder zum Verhältnis der Linken zur Polizei versuchte man das zuletzt wieder. Nagel hofft, dass wieder mehr Energie im Linxxnet in die Rolle als »Denkfabrik« fließt – und weniger in organisatorische Abläufe und basisdemokratische Koordination. Dass diese zunehmend als anstrengend empfunden und sogar über eine Geschäftsführung nachgedacht wird – spätestens das zeigt wohl tatsächlich, dass das Linxxnet erwachsen geworden ist.

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