nd-aktuell.de / 04.09.2020 / Kultur / Seite 12

Nur Melodie und Rhythmus

Plattenbau

Benjamin Moldenhauer

Dass die ideenreichste Musik manchmal in den unwahrscheinlichsten Gegenden entsteht, kann man sich eigentlich nur mit Zufällen erklären. Es sind dann ausnahmsweise einmal die passenden, richtigen Menschen zur selben Zeit am selben Ort. In Landsberg am Lech, was in Oberbayern liegt, gründete Wolfgang Petters, ein Mann mit einem offenbar großen Freundeskreis, 1991 das Label Hausmusik. In den 16 Jahren seines Bestehens war es ein Fixpunkt für genreüberschreitende Indie-Musik in diesem Land. Wie das alles genau zustande gekommen ist, wie also ausgerechnet in Oberbayern ein so heftiger und dauerhafter Ausbruch an musikalischer Schönheit geschehen konnte, müsste man pophistorisch beizeiten einmal genau aufdröseln.

Gut 30 Minuten Autofahrt entfernt, in Weilheim, wiederum hatten bereits zwei Jahre zuvor die Gebrüder Acher unter dem Namen Notwist und im Verbund mit dem Hausmusik Netzwerk begonnen Musik zu machen. Um bis heute ein halbes Dutzend großartige Alben und ein gutes Dutzend Ableger, Projekte und Kollaborationen auf den Weg zu bringen - Elektronik, Indie-Elektronik, Jazz, Jazz-Elektronik, Noise, Hip-Hop, Hippie-Folk. Das Universum, das sich um Notwist und Hausmusik aufspannte, kannte und kennt nur wenig Grenzen.

Hausmusik gibt es seit 2007 wie gesagt nicht mehr, Notwist sind als Zentrum einer der einst interessantesten Musikszenen in Deutschland bis heute präsent geblieben. Was diese Band ausmacht, ist, neben der beharrlichen Ausdifferenzierung und fortlaufenden Öffnung der eigenen Musik, eine den Hörer umhüllende Selbstgenügsamkeit: ein musikalischer Kosmos, der sich, bei aller melancholischen Tonalität der Stimme von Markus Acher, um das Elend der Welt nicht groß zu kümmern braucht. Die Texte sind in der Musik eigentlich immer weitgehend egal, die Stimme nur eine weitere Klangquelle. Es geht hier nur um Melodie und Rhythmus und so Fragen wie man dieses eine besonders interessant und hübsch klingende Geplucker jetzt schlüssig mit dem Vibraphon und dem Cello zusammenkriegt, so, dass da wieder ein verschrobener Pop-Song bei rumkommt.

Diese Weltabgewandtheit bringt die schönen Seiten des Provinziellen mit einer unermüdlichen Begeisterungsfähigkeit für Signale von überall her zusammen. Auf der jetzt erschienenen EP »Ship« singt Saya, Sängerin des japanischen Psychedelic-Folk-Band Duos Tenniscoats, das Titelstück, und es klingt wie ein Wiedergänger der britischen Pop-Marxisten Stereolab, die sehr viel Krautrock gehört haben. Repetition, Echo, sanfte Dub-Effekte.

Das zweite Stück, »Loose Ends«, gehört zu den tranigen Ambient-Stücken von The Notwist, Akustikgitarre, leises Rauschen. Das instrumentale »Avalanche« führt vor, wie diese Band seit Jahren ihre Klangräume konstruiert, aus dreimal so vielen Schichten wie sonst üblich.

»Ship« ist die erste Veröffentlichung von Notwist seit sechs Jahren (wenn man das Live-Album »Superheroes, Ghostvillains + Stuff« von 2016 und die 2015 erschienene Schnipselsammlung »Messier Objects« abzieht). Die drei Stücke klingen erst einmal unspektakulär. Was man von The Notwist auch lernen kann: Wie man Musik so bauen kann, dass sie immer weiter wächst.

The Notwist: »Ship« (Morr/Indigo)