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Zauberwort Korruption

Der Journalist Jan Kuciak deckte Seilschaften von Politik und Verbrechen auf. Die slowakische Regierung kümmert das wenig

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

Könnte Ursula von der Leyen (CDU) die EU-Mitgliedsstaaten hinsichtlich ihrer Bereitschaft benoten, EU-Politiken bereitwillig umzusetzen, würde die Slowakei Spitzennoten bekommen. Die Staatsverschuldung ist niedrig, genauso wie die Arbeitslosenquote. Seit den 1990er Jahren hat es das Land geschafft, die aus dem Staatssozialismus herrührende Schwerindustrie beinahe vollständig abzuwickeln und stattdessen neue internationale Unternehmen anzusiedeln. Mit Erfolg: In keinem anderen Land Europas werden pro Kopf so viele Autos gebaut wie in der Slowakei. Doch die Schattenseiten des neoliberalen Musterstaates dürften der EU-Kommissionspräsidentin ebenso bekannt sein. Spätestens seit dem Mord an dem Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Februar 2018 sind die engen Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen international bekannt.

Die Ermordung Kuciaks löste landesweite Proteststürme aus, die das politische System der Slowakei gründlich durcheinanderwirbelten. Dennoch ist das Fazit zweieinhalb Jahre später ernüchternd. Zwar beugte sich der sozialdemokratische Ministerpräsident Robert Fico nach drei Wochen dem Druck der Straße und erklärte seinen Rücktritt. Gleichzeitig diktierte er Staatspräsident Andrej Kiska die Bedingungen für seine Amtsaufgabe: Der Staatschef verzichtete darauf, Neuwahlen auszurufen und akzeptierte Ficos Parteikollegen Peter Pellegrini als Nachfolger. Die ausgehandelte Amtsübergabe sicherte den Einfluss alteingesessener Politiker um Fico auf die Regierung, obwohl dessen persönliche Assistentin Mária Trošková von Kuciak beschuldigt wurde, Geschäftsbeziehungen zur italienischen Mafia zu unterhalten.

Dennoch veränderte die außerparlamentarische Protestbewegung das politische System: Davon zeugen sowohl der Erfolg der liberalen Rechtsanwältin und Antikorruptionsaktivistin Zuzana Čaputová bei der Präsidentenwahl im Frühjahr 2019 sowie der Sieg der rechtspopulistischen Anti-Korruptions-Plattform »Gewöhnliche Leute« (OLaNO) bei der Parlamentswahl im Februar 2020. Darüber hinaus mussten im Zuge der Ermittlungen im Kuciak-Mord etliche Regierungspolitiker, Spitzenbeamte, Richter und Staatsanwälte zurücktreten.

Die neue Regierung um Premier Igor Matovič inszeniert sich als Vorkämpferin gegen Korruption und Vetternwirtschaft. Dazu setzt sie auf öffentlichkeitswirksame Verhaftungen und Entlassungen von Beamten und Politikern. Im vergangenen Jahr nahm die Polizei 13 Richter und Staatsanwälte sowie eine ehemalige Justiz-Staatssekretärin fest. Letztere und ein Teil der Richter sitzen bis heute in Untersuchungshaft. Doch die systematischen Geschäftsverbindungen von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen, die der Enthüllungsjournalist Kuciak aufdeckte, werden nicht als Teil des slowakischen Geschäftsmodells verstanden, das sich sei dem Ende des Staatssozialismus und der slowakischen Unabhängigkeit etabliert hat. Das zeigt sich beispielhaft im Prozess gegen Marian Kočner. Der millionenschwere Geschäftsmann und mutmaßliche Auftraggeber des Mordes an den Journalisten wurde im Juni 2018 wegen mehrerer Wirtschaftsdelikte in Untersuchungshaft genommen, ihm wurde auch systematische Einschüchterung und Bestechung der Richterschaft zur Last gelegt. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Péter Tóth gestand im Herbst 2018, Kuciak im Auftrag von Kočner beschattet zu haben. Dies zeigt, wie weitreichend die Verbindungen zwischen Staat, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen reichen.

Der Fall Kuciak macht deutlich, wie begrenzt die gesellschaftliche Demokratisierung der Slowakei tatsächlich ist. Denn dafür müssten wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um die Macht der aus dem Transformationsprozess hervorgegangen Elite einzuschränken. Doch die bleiben aus.

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