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Natürlich, aber nicht harmlos

Auf den Wunsch nach »sauberer« Kosmetik reagierten die Hersteller auch mit neuen Marketingkonzepten

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 3 Min.

Nachhaltig, natürlich, frei von schädlichen Chemikalien - das sind die Schlagworte der »Clean-Beauty«-Bewegung. Der einstige Nischentrend ist heute zum Mainstream bei bewussten Konsumenten geworden.

Die Sorge, auf Luxus verzichten zu müssen, hat Verbraucherinnen zuvor lange Zeit davon abgehalten, ihr traditionelles Make-up gegen ein »Clean-Beauty«-Produkt einzutauschen. Inzwischen sind einschlägige Cremes und Mittelchen längst vom Öko- in den High-End-Kosmetiksektor gewechselt. Diesen Wandel haben insbesondere junge Menschen vorangetrieben, die nach Nachhaltigkeit und Umweltschutz auf vielen Gebieten rufen, auf Luxus jedoch keinesfalls verzichten möchten.

Es gibt ein großes wirtschaftliches Potenzial, und der Markt wächst stetig: Allein von 2017 bis 2018 wuchsen die Einnahmen für »natürliche Hautpflegeprodukte« um 23 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro. Damit erreichten sie ein Viertel des Gesamtumsatzes der Branche. Angesichts solcher Zahlen fragt es sich, ob es sich bei den »Naturprodukten« nur um eine ausgeklügelte Marktstrategie handelt oder ob bei ihrer Entwicklung gesundheitsrelevante Faktoren wirklich eine Rolle spielen.

Warnungen vor den Inhaltsstoffen herkömmlicher Kosmetika kamen insbesondere von Influencern, die mit starker Präsenz und hohem Ansehen in sozialen Netzwerken Werbung betreiben. Eine von ihnen ist die Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Sie warnt ihre Anhänger vor herkömmlicher Kosmetik: »Möchten Sie Frostschutzmittel (Propylenglykol) in Ihrer Feuchtigkeitscreme haben?« Bei dem Wort Frostschutzmittel wird der Verbraucher natürlich abgeschreckt. Dabei ist Propylenglykol sogar für Lebensmittel geeignet und in Nahrungsmitteln wie flüssigen Süßstoffen enthalten.

Der Trend geht jedoch klar in Richtung von »natürlichen« Produkten. Bei Vertretern der »Clean-Beauty«-Bewegung sind insbesondere Sulfate, Parabene, Formaldehyd-Freisetzer, Mineralöle, Silikone, Phthalate oder, wie bereits erwähnt, Propylenglykol verpönt. Dabei ist längst nicht erwiesen, dass synthetische Produkte der Chemieindustrie aggressiver mit der Haut reagieren als die aus natürlichen Quellen. Viele sogenannte Naturstoffe enthalten Pflanzenextrakte, ätherische Öle oder Duftstoffe, die zu den Hauptursachen von allergischer Kontaktdermatitis und Photosensibilisierung gehören.

Ob ein Erzeugnis der traditionellen Kosmetikindustrie oder der Kosmetik à la »Clean Beauty« als gesundheitsgefährdend eingeschätzt wird, hängt deutlich von der Gesetzgebung in der Region ab, wo die Produkte vertrieben werden. Innerhalb der EU ist von den Zulassungsbehörden der Einsatz von etwa 1300 Substanzen in Kosmetika streng untersagt. In den USA hingegen ist lediglich die falsche oder unvollständige Deklarierung von Bestandteilen in kosmetischen Artikeln verboten. Dies regelt ein Gesetz aus dem Jahre 1938, das zwar mehrfach ergänzt wurde, im Kern jedoch nur recht vage Bestimmungen enthält.

Strengere Regeln gelten dort nur für Kosmetika, die auch eine medizinische Wirkung haben, wie ein Sonnenschutzpräparat mit Lichtschutzfaktor oder ein Haarshampoo, das auch gegen Schuppen wirksam ist. Für alle anderen Präparate ist die Auswahl der Inhaltsstoffe fast unbegrenzt. In den USA hat die »Clean-Beauty«-Bewegung begonnen, da sie eine Menge Substanzen für riskant hält. Allerdings bleibt auch sie vage in der Beschreibung, was mit »sauber« und »natürlich« gemeint sein sollte; zertifizierte Standards und Kriterien dafür existieren nicht.

So verwundert es nicht, dass Dermatologen vor übermäßigen Erwartungen an Naturkosmetik wie auch vor Verteufelung industrieller Kosmetik warnen. Eine Studie der Universität von Ferrara (Italien) zeigt, dass 6,2 Prozent der eingesetzten tropischen Pflanzenprodukte allergene bis kanzerogene Wirkungen zeigten. Patienten der Dermatologischen Klinik der University of Pennsylvania klagten nach Verwendung von Naturkosmetika über Hautreizungen, Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit.

»Wir Dermatologen müssen den Patienten erklären, dass ›Natur‹ bei den Produkten nur ein Marketingbegriff ist, der nicht notwendigerweise mehr Sicherheit oder Effizienz in der Anwendung bedeutet«, erklärt Courtney Blair Rubin von der US-Universität. Diese Aufklärung, so die Dermatologin, schütze nicht nur Haut und Körper der Betroffenen, sondern oft auch ihr Budget.

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