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Zerrreißen, vereisen, kollabieren – alles ist drin

Das Universum begann mit dem Urknall – darüber sind sich Astrophysiker einig. Doch ob und wie es endet, das ist noch offen.

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Was bringt die Zukunft? Diese Frage interessierte die Menschen zu allen Zeiten. Und die Sehnsucht, Gewissheit über das Kommende zu erlangen, ist bis heute geblieben. Astrologen, Kartenleger und eine Heerschar sonstiger esoterischer »Berufsgruppen« profitieren davon. Sogar eine Wissenschaftsdisziplin, die Futurologie, hat sich die systematische Erkundung möglicher künftiger Entwicklungen auf ihre Fahnen geschrieben. Wohl die meisten Prognosen - und nicht nur die aus der Glaskugel - sind bisher danebengegangen. Je weiter der Blick der Forscher sich zeitlich von der Gegenwart entfernt, desto unsicherer werden ihre Aussagen. Verständlicherweise, denn das komplexe Ineinandergreifen von kommenden Ereignissen und deren Auswirkungen lassen sich nicht exakt erfassen. »Die Futorologie ist die Wissenschaft vom Kaffeesatz«, hat Hans Magnus Enzensberger deshalb einmal ironisch angemerkt. Doch das alles hindert die Experten nicht daran, sich mit einer Fülle unterschiedlicher Methoden und Techniken immer wieder diesem Thema zu widmen. Auch die Kosmologen, deren Forschungsgegenstand das physische Weltganze ist, machen da keine Ausnahme. Gerade hat die US-amerikanische Forscherin Katie Mack ein ganzes Buch über »Das Ende von Allem« (»The End of Everything«. Scribner, New York 2020, geb.; Penguin Random House, London 2021, brosch.) veröffentlicht, in dem sie sich mit der möglichen Zukunft und dem Ende des Universums beschäftigt.

Auch Kosmologen extrapolieren die Gegenwart in die Zukunft

Grundlage aller Überlegungen über das Schicksal des Universums ist natürlich unser heutiges Wissen, insbesondere die Entdeckung von Edwin Hubble und anderen, dass der Kosmos sich entwickelt, also eine Lebensgeschichte hat, die nach der gegenwärtig vorherrschenden Lehre mit dem sogenannten Urknall begann. Wenn etwas begonnen hat, sagen sich die Forscher, dann muss es auch irgendwann wieder enden - Geburt und Tod als die beiden Eckpfeiler alles Existierenden. Doch auf welche Weise könnte man sich dieser Frage überhaupt annähern? Im Grunde gehen die Kosmologen dabei ähnlich vor wie die Futurologen. Sie extrapolieren die Gegenwart in die Zukunft und definieren dann »mögliche Zukünfte« mit dem Ziel, die wahrscheinlichste von ihnen schließlich herauszufinden.

Das dominierende Entwicklungsmerkmal der Gegenwart des Universums ist seine Expansion. Der Raum wird immer größer, die Galaxien entfernen sich alle voneinander und zwar mit umso größerer Geschwindigkeit, je weiter entfernt sie sind. Ursprünglich hatten die Kosmologen daraus den Schluss gezogen, dass sich die Ausdehnung des Weltalls wegen der Gravitation der darin enthaltenen Massen allmählich verlangsamen müsste, um schließlich zum Stillstand zu kommen und dann in eine Kontraktion umzuschlagen. Die Kontraktion würde immer schneller und schneller und endete schließlich in einem »Big Crunch«, einem großen Zusammenkrachen, so dass wieder jener von der Physik nicht beschreibbare Zustand entsteht, aus dem das Universum einst hervorgegangen sein soll, die kosmologische Singularität.

Berechnungen zeigten, dass der Stillstand erst nach 80 Milliarden Jahren und der »Crunch« gar erst nach 160 Milliarden Jahren einträte. Doch dann wurde die »Dunkle Energie« entdeckt, die eine beschleunigte Expansion bewirkt. Von einer allmählichen Abbremsung kann damit keine Rede sein. Die Folge ist eine ganz andere Apokalypse des Universums. Das gesamte Universum mit all seinen Objekten könnte zerreißen, weil nichts mehr der ins Ungeheure angewachsenen Expansion standhält. So würde das Universum dann »schon« nach etwas mehr als 150 Milliarden Milliarden Jahren in einem »Big Rip« enden. Allerdings nur, wenn die gegenwärtige beschleunigte Expansion andauert.

Aus Messungen wissen wir, dass sie aus einem noch nicht verstandenen Grund erst vor einigen Milliarden Jahren eingesetzt hat, also keineswegs schon immer vorhanden war. So könnte sie ebenso plötzlich auch wieder enden. Wenn dies geschähe, hätte eine ständig andauernde unbeschleunigte Expansion ein allmähliches Verlöschen des Weltalls zur Folge.

Unsere heutigen Kenntnisse über die Entwicklung der Sterne, aber auch über die Evolution des Kosmos ebenso wie das Standardmodell der Teilchenphysik gestatten es uns durchaus, einen groben Abriss des Schicksals, das dem Weltall unter diesen Bedingungen wahrscheinlich bevorsteht, in Modellrechnungen zu skizzieren.

Das Ergebnis ist das Gegenteil eines »Big Crunch«. Zunächst würden sich die Abstände der Galaxienhaufen immer mehr vergrößern. In den einzelnen Sternsystemen wird durch die hunderte Milliarden von Sternen, aus denen sie bestehen, ständig Wasserstoff zu Helium fusioniert. Die Zahl der Galaxien in den Haufen müsste sich mit der Zeit verringern, da sie durch Kollisionen mit der Zeit zu riesigen Gebilden anwachsen. Spinnen wir diesen Gedanken fort, so werden eines sehr fernen Tages alle Sternsysteme unserer näheren galaktischen Nachbarschaft, die Objekte der sogenannten Lokalen Gruppe zu einer einzigen Riesengalaxie verschmolzen sein. Dieser Prozess setzt sich weiter fort und bezieht schließlich auch den Virgo-Galaxienhaufen mit ein, an dessen Rand sich unsere lokale Nebelgruppe heute befindet.

In jenen großen Zeiträumen, über die wir hier reden, wird aber der Rohstoff immer knapper, aus dem dereinst Sterne entstanden. Da es immer weniger Wasserstoff gibt, kommt der Prozess der Sternentstehung zum Stillstand, während gleichzeitig die schon bestehenden Sterne ihr Leben nach und nach aushauchen. Die »Alten« sterben, aber es wachsen keine neuen Generationen mehr nach. Das Universum verliert eine seiner gegenwärtig bemerkenswertesten Eigenschaften: es wird dunkel. Nach insgesamt zehn Billionen (d.h. nach 10 000 Milliarden) Jahren wäre es nur noch von langwelliger Wärme- und Radiostrahlung jener Objekte erfüllt, in denen keine Kernfusion mehr stattfindet, die also nur noch auskühlen.

Am Ende könnten sogar die Protonen zerfallen

Nach 100 Billionen Jahren sind allein noch schwarze Zwerge, also abgekühlte frühere weiße Zwerge, Neutronensterne und Schwarze Löcher vorhanden. Die Gesamttemperatur des zu unvorstellbarer Größe aufgeblähten Raumes beträgt nunmehr lediglich noch ein Kelvin, also ein Grad über dem absoluten Nullpunkt. Nun könnte aber in dem uralten Weltall die Zeit gekommen sein, in der auch die Protonen zunehmend zerfallen und damit alle noch vorhandenen Reste von Objekten (Weiße Zwerge, Neutronensterne und Planeten) ihr Dasein beenden. Einzig die Schwarzen Löcher haben eine noch höhere Lebenserwartung. Sie liegt nach Stephen Hawking bei sehr massereichen Objekten, wie sie z.B. im Zentrum von Galaxien beobachtet werden, bei knapp 10100 Jahren. Nach Ablauf dieser Zeit aber gibt es tatsächlich keinerlei Strukturen mehr im Universum. Hingegen irren noch Neutrinos, Elektronen und Positronen durch das dünne Strahlungsmeer. Die Expansion hätte nach dieser Theorie das Universum vereisen lassen - die Temperatur liegt fast am absoluten Nullpunkt. Eigentlich herrscht ein Nichts, wie am Beginn der Lebensgeschichte des Weltalls, das sich nun einem Zustand zeitloser Ewigkeit nähert.

Doch während all diese weitgehend spekulativen Szenarien in fernster Zukunft spielen, könnte uns auch ein ganz rasches Ende drohen - und nicht nur uns, sondern dem gesamten Universum. Die beiden Physiker Sidney Coleman und Frank de Lucia schockierten die wissenschaftliche Welt nämlich in den 1980er Jahren mit der These, das gesamte Weltall könne auch schlagartig verschwinden. Sie argumentierten, dass die kurze inflationäre Phase der Expansion des Weltalls durch einen spontanen Zerfall des Quantenvakuums zustande kam. Das bestehende Vakuum befand sich in einem instabilen Zustand und ging in einen solchen mit niedrigerer Energie über. Man könne aber nicht wissen, meinen die beiden Physiker, ob dieses Vakuum bereits den Zustand niedrigster Energie erreicht hat. Wenn dies nicht der Fall sei, könne es erneut zu einem spontanen Zerfall des Vakuums kommen - mit verheerenden Folgen für das gesamte Universum. Dass der erste Zerfall bereits 10-35 Sekunden nach dem Urknall stattfand und das Universum nunmehr bereits seit 13,82 Milliarden Jahren existiert, beunruhigt die beiden Physiker nicht. Schließlich gebe es auch beim spontanen radioaktiven Zerfall von Atomen Halbwertszeiten von wenigen Minuten und andere von mehreren Milliarden Jahren.

Leben wir in einem sehr langlebigen, aber instabilen Vakuum, könnte dieses jederzeit ohne Grund, d.h. spontan an irgendeinem Punkt zerfallen und dieser Phasenübergang würde sich mit enormer Geschwindigkeit über das gesamte Universum ausbreiten. Dabei werden nicht nur die großen Strukturen des Universums, die Galaxienhaufen, Galaxien und Sterne vernichtet, sondern auch die Elementarteilchen. Es wäre das Ende des gesamten Universums in seinem jetzigen Zustand. Für uns Menschen würde dies höchstwahrscheinlich einen schmerzlosen Tod bedeuten, weil er viel zu schnell käme - ohne Vorwarnzeit. Selbst, wenn eine solche ultimative Vernichtungswelle in einem fernen Winkel des Alls jetzt bereits eingesetzt hätte, wir würden davon nichts bemerken, bis wir schließlich selbst davon erfasst werden.

Am Schluss ihres Buches philosophiert »Astrokatie« (so der Twitteraccount der Autorin) anhand von Gesprächen mit Berühmtheiten wie Freeman Dyson, Roger Penrose und Martin Rees über die Unerfreulichkeit einer begrenzten Lebensdauer des Universums. Aber vielleicht existiert es ja doch ewig. Diese These vertritt jedenfalls mit aller Vehemenz die junge aus Ungarn stammende Wissenschaftlerin Anna Ijjas vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. Sie meint, gute Argumente für ein zyklisches Universum zu haben, das in einem Wechselspiel von Expansion und Kontraktion ewig existiert. Es kommt sogar ohne »Urknall« aus, denn schon bevor ein nach der Expansion wieder kontrahierendes Universum in die kosmologische Singularität übergeht, gibt es einen »Urprall«, und das nächste expandierende Universum ist geboren. Kein kosmischer Futurologe weiß allerdings gegenwärtig, welches Szenario von allen das wahrscheinlichste ist.

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