Ein fatales Fanal

Die Reichstagswahlen von 1930

  • Horst Schewitza
  • Lesedauer: 3 Min.

Angesichts des Erstarken rechtsextremistischer Kräfte hierzulande dürfte ein Blick zurück in die deutsche Geschichte nützlich sein. Die Reichstagswahlen am 14. September 1930 stellten eine einschneidende Zäsur dar. Die Stimmen der NSDAP stiegen von rund 800 000 auf 6,4 Millionen, von 2,6 Prozent auf 18,3. Die Nazipartei konnte damit ihren Anteil der Parlamentsmandate von zwölf auf 107 erhöhen. Eine bis dato unbedeutende Splitterpartei avancierte zur stärkste Rechtspartei der Weimarer Republik.

Die Neuwahlen waren angesetzt worden, weil die vom Sozialdemokraten Hermann Müller geführte Regierung der Großen Koalition vorzeitig, am 27. März 1930, wegen eines Streits mit der Deutschen Volkspartei (DVP) um die Beitragshöhe für die Arbeitslosenversicherung zurückgetreten war. Vor dem Hintergrund der Younggesetze, welche die deutschen Reparationen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg bis 1988 neu regelten, ist am 30. Mai ohne die Legitimation von Wahlen Heinrich Brüning von der Zentrumspartei zum Reichskanzler ernannt worden. Innerhalb von zwei Tagen stellte dieser mit Politikern aus sieben Parteien, einschließlich Weltkriegsgeneral Wilhelm Groener, die erste Präsidialregierung der Weimarer Republik, eine Minderheitsregierung, zusammen. Diese war antiparlamentarisch und antimarxistisch ausgerichtet und strebte die Aushöhlung des Sozialstaates an. SPD und KPD, aber auch die NSDAP und Teile der DNVP, lehnten am 16. Juli die Deckungsvorlage für den Jahreshaushalt ab. Diese wurde daraufhin als Notverordnung nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung durchgesetzt. Zwei Tage später hob sie der Reichstag wieder auf. Als nach acht Tagen erneut Notverordnungen erlassen wurden, mussten laut Verfassung der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden.

Brünings antisoziale Politik hat das Wählerverhalten der Deutschen dramatisch verändert. Bürger, die früher für die Rechtsparteien DNVP, DVP und Deutsche Staatspartei gestimmt hatten, votierten nun, am 14. September, für die NSDAP, die bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent auch viele bisherige Nicht- sowie Erstwähler für sich gewinnen konnte. Auffallend war ebenso, dass mehr Selbstständige, Bauern, Beamte, Rentner und Pensionäre an die Urnen traten. Die KPD konnte zwar auch ihr Wahlergebnis steigern, von 10,6 Prozent auf 13 Prozent. In Berlin wurde sie mit 33 Prozent gar stärkste Partei. Die NSDAP erhielt in der Hauptstadt zwölf Prozent. Lediglich das Zentrum konnte sich noch von 62 auf 69 Mandate im Reichstag verbessern. Alle anderen Parteien gehörten zu den Verlierern der Wahlen von 1930.

Auf deren vorzeitige Durchführung hatte Brüning gedrängt, weil er von der Tolerierung durch die SPD loskommen wollte. Nach dem Wahlergebnis war er jedoch erst recht auf diese angewiesen. Und Preußens sozialdemokratischer Ministerpräsident, Otto Braun, wiederum beschwor seine Genossen, den alten und neuen Reichskanzler weiter zu unterstützen, da sonst seine Regierung in Gefahr gerate. So stimmte in der Folge die SPD prinzipiell der Politik Brünings zu - bis zu dessen Rücktritt am 30. Mai 1932.

Die Unterstützung der unsozialen Politik Brünings durch die SPD hatte zur verschärften Verelendung breiter Volksschichten und zum weiteren Anwachsen der NSDAP-Wählerschaft geführt, aber auch zur Wählerwanderung von der SPD zur KPD, die sich in ihrer grundfalschen »Sozialfaschismus«-These bestätigt fühlte. Der Wahlerfolg der NSDAP hatte zudem gravierende wirtschafts- und außenpolitische Folgen. Ausländische Kapitalanleger zogen Kredite in Höhe von mehr als 1,7 Milliarden Reichmark, Gold- und Devisenreserven ab. Hitler sah sich daher veranlasst, öffentlichkeitswirksam zu erklären, keine ungesetzlichen Mittel auf dem Wege zur Macht anzuwenden. Dafür nutzte er einen Prozess gegen drei junge Reichswehroffiziere, die im Heer »nationalsozialistische Zellen« zu bilden versucht hatten. Als Zeuge vor das Leipziger Reichsgericht bestellt, legte er einen sogenannten »Legalitätseid« ab. Industrie- und Bankkapital, Großagrarier und Reichswehrführung begannen nun, ihre Beziehungen zur NSDAP auf eine neue Grundlage zu stellen. Das Ergebnis ist bekannt: Drei Jahre später, am 30. Januar 1933, wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt.

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