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Über Geld sprechen

Am Samstag forderten Demonstranten in mehreren Städten eine gerechte Umverteilungspolitik in der Krise

  • Moritz Aschemeyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Reichen müssen für die Krise zahlen.« Unter diesem Motto zogen am Samstagabend nach Veranstalterangaben etwa 1000 Menschen über den Berliner Kurfürstendamm, um für eine Umverteilung zu demonstrieren. Auch in Hannover und Hamburg fanden im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages Demonstrationen statt, in Flensburg und Kaiserslautern kam es zu kleineren Aktionen. Aufgerufen hatte das Bündnis »Wer hat, der gibt«, an dem sich neben linken und mietpolitischen Initiativen auch gewerkschaftliche Gruppen sowie Aktive aus dem Gesundheitswesen beteiligen.

Das Bündnis fordert unter anderem die Wiedererhebung der Vermögensteuer sowie eine höhere Besteuerung von Unternehmen und Erbschaften. Darüber hinaus dürfe nicht im Sozial-, Kultur- und Gesundheitswesen gekürzt werden, »systemrelevante Berufe« müssten zudem besser bezahlt werden. »Wir steuern auf eine verheerende Wirtschaftskrise zu, viele Menschen sind jetzt schon durch Kurzarbeit und Jobverlust in ihrer Existenz bedroht«, begründete Lena Karski, Sprecherin der Berliner Organisatoren, den Zeitpunkt der Demonstration gegenüber »nd«. Die Reichen würden derweil immer reicher, das habe zuletzt auch die Studie des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung auf drastische Weise gezeigt. »Jetzt ist es an der Zeit, den Druck auf die Politik zu erhöhen, dass eine Umverteilung jenseits von Wahlkampfversprechen tatsächlich in Angriff genommen wird«, so Karski weiter.

Dass man hier mit den Protesten gegen die Hygienemaßnahmen nichts zu tun haben will, wird zu Beginn der Demonstration am Adenauerplatz betont. Die überwiegende Mehrheit hält sich an das Hygienekonzept, selbst die Statue Konrad Adenauers trägt einen Mund-Nasen-Schutz. »Gerade aufgrund des aktuellen Booms an Verschwörungsmythen müssen systemische Ursachen für die Krise aufgezeigt werden«, sagt Martin Stein von der Gruppe »North Eastern Antifa« (NEA) im Gespräch. Man wolle die Deutungshoheit über die Krise nicht den Rechten überlassen. »Was wiederum nicht heißt, dass die Demo ein Alternativangebot für Coronaleugner sein soll«, so Stein. Reiche hingegen sind explizit geladen. Gekommen sind offensichtlich keine, »obwohl es nicht weit bis Grunewald ist«, wie Lena Karski anmerkt. Der eigens aufgestellte Millionärsblock bleibt über die gesamte Dauer der Demonstration leer.

Verschiedene Initiativen thematisieren während der Demonstration Verdrängung. Auf dem Kurfürstendamm befinden sich neben Vorzeigegeschäften und Nobelboutiquen auch die Büros großer Immobilienunternehmen, unter anderem von Pears Global Real Estate. Der Briefkastenfirma mit Verbindungen zur Eigentümerfamilie Pears gehört auch das Haus in Neukölln, aus dem die Kiezkneipe »Syndikat« Anfang Augustvon einem massiven Polizeiaufgebot geräumt worden war. Als der Umzug das Pears-Büro passiert, werden die Sprechchöre lauter, die Polizei schirmt das Gebäude ab. Doch es bleibt friedlich wie auch auf der restlichen Route, wobei die Polizei neben dem anarchistischen Block mitläuft.

»Akteure wie Pears kennt man mittlerweile«, sagt Jannis, Aktivist der Stadtteilinitiative »Hände weg vom Wedding«, der seinen Nachnamen nicht nennen will. »Wem es aktuell allerdings besonders gut zu gehen scheint, ist das schwedische Unternehmen Heimstaden, das erst kürzlich 130 Häuser in Berlin gekauft hat.« Die Skjerven Group hat während der Coronakrise in Berlin mehrere Immobilien für Heimstaden erworben, im Mai dieses Jahres auch mehrere Wohnhäuser in einem Milieuschutzgebiet in Gesundbrunnen. Die Mieter fürchten Verdrängung. »Wir wussten erst gar nicht, wer unser Haus gekauft hat«, erinnert sich Viktoria, die ihren richtigen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will.

Mit Nachbarn hat sie sich in der Initiative »Os.Ko bleibt« zusammengetan und gemeinsam mit Mietern aus anderen Skjerven-Immobilien einen Block auf der Demonstration organisiert. »Es wäre wünschenswert, dass die Stadt bestehende Regelungen konsequent durchsetzt und man die Mieter mehr in die Prozesse einbindet, etwa bei der Anwendung des Vorkaufsrechts«, sagt sie gegenüber »nd«.

Die sich verschlechternde soziale Situation vieler Berliner während Corona beunruhigt die Aktivisten aus dem Wedding. »Man merkt aber auch, dass das nicht einfach so hingenommen wird und die Mieter dagegen aufbegehren«, sagt Jannis. An das Unrechtsbewusstsein und Erfolge wie den Mietendeckel wolle man anknüpfen, auch im Hinblick auf die Enteignungsdebatte im kommenden Jahr. Von dieser bliebe auch Heimstaden nicht unberührt.

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