»Führende Politiker der CDU wollen den Staat kaputtsparen«

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi sieht in der künftigen Finanz- und Wirtschaftspolitik viele Differenzen mit der Union

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Bundesregierung will nach der Meinung von Finanzminister Olaf Scholz 2021 rund 96 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Ist das eine gute Nachricht, weil die Schwarze Null erst einmal Geschichte ist, wie die Parlamentarische Linke in der SPD-Fraktion in ihrem Papier schreibt, oder eine schlechte, weil der Staat zu wenig einnimmt?

Uns geht es in erster Linie nicht um die Schwarze Null, sondern um Bedarfe. Und der Bedarf ist aktuell sehr groß, dass die Konjunktur gestützt wird und man Arbeitsplätze erhält. Und dann erst kommt die Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit der Finanzierung? Deswegen ist es vollkommen richtig, in dieser Situation - wie es das Grundgesetz vorsieht - von der Schuldenbremse abzuweichen und weiterhin entsprechend antizyklisch sowie keynesianisch zu agieren. Und es ist volkswirtschaftlich sinnvoll, auch kreditfinanziert Zukunftsinvestitionen anzupacken, statt dogmatisch mit Schwarzer Null und engen Schuldenregeln auf die Zukunftsbremse zu treten.

Michael Schrodi

Der bayerische Sozialdemokrat ist seit 2017 Mitglied des Bundestags. In der Fraktion gehört er dem linken Flügel an und ist ein Sprecher der Denkfabrik, die auch Gespräche mit Linken und Grünen organisiert. Aert van Riel sprach mit ihm über Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie Perspektiven für neue Koalitionen im Bund. 

In welchen Bereichen muss dringend investiert werden?

Wir müssen unterscheiden zwischen den Maßnahmen, die wir akut zur Stützung der Konjunktur ergreifen und den mittel- und langfristigen Bedarfen, um unsere Wirtschaft und Gesellschaft zu modernisieren. In diesem Zusammenhang gibt es einen Beschluss der SPD von 2019, der sich anlehnt an das, was DGB und BDI gemeinsam in ihrem Papier an Finanzierungsbedarfen ermittelt haben. Das sind in den nächsten zehn Jahren 450 Milliarden Euro zusätzlich. Wir müssen in die kommunale und die Bildungsinfrastruktur investieren. Hinzu kommen Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur und die Dekarbonisierung der Wirtschaft, um CO2-Neutralität zu erreichen. Das muss man in nächster Zeit abarbeiten, damit die sozial-ökologische Transformation gelingt.

Zu den akuten Maßnahmen zählt die staatliche Unterstützung für Kurzarbeit, damit Menschen nicht ihren Job verlieren. Werden mittelfristig nicht auch große Investitionen in den Sozialstaat benötigt, wenn die Kurzarbeit ausläuft und die Konjunktur nicht wieder anziehen sollte?

Zunächst einmal hoffen wir, dass wir mit den Überbrückungshilfen für Unternehmen und dem Kurzarbeitergeld es verhindern, dass wir Unternehmenspleiten erleben und damit eine massive Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Diese Krise hat gezeigt, dass ein starker Sozialstaat solche Krisen auch bewältigen kann. Da gibt es große Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern. Armin Laschet und Friedrich Merz wollen schnell zum Sparen und zur Schwarzen Null zurückkehren. Das würde die Konjunktur abwürgen, den Sozialstaat schwächen und verbaut die Zukunft kommender Generationen. Einige Anwärter auf den CDU-Vorsitz wollen den Staat kaputtsparen und damit das Instrument zerstören, das uns gerade gut durch die derzeitige Krise bringt.

Es besteht derzeit in Teilen der Bevölkerung die Sorge, wer für die Krisenkosten aufkommen soll. Wird die Einnahmeseite vernachlässigt?

Führende Ökonomen meinen, dass wir wegen der Kredite, die wir jetzt aufgenommen haben, wieder aus der Krise herauswachsen müssen. Damit haben sie recht. Denn die Ausgaben von heute sind die Einnahmen von morgen. Von den 500 Milliarden Euro neuen Schulden in der Finanzkrise 2009 und einem Schuldenstand von zwei Billionen sind bisher nur 50 Milliarden zurückgezahlt worden. Der Rest ist gleich geblieben. Seitdem ist aber die Wirtschaftskraft gestiegen und damit auch der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt. Das sollte auch weiterhin das Ziel sein. Der Schuldenstand ist dabei nicht die entscheidende Größe.

Das ist sicherlich die eine Seite. Was ist aber mit Ideen, die Vermögensteuer wiederzubeleben oder höhere Einkommen stärker zu besteuern?

Bevor ich darauf antworte, will ich noch auf eine Sache verweisen. Wir müssen die neuen Schulden nicht schnell zurückzahlen, wie es die Union fordert. Das würde den Haushalt mit Zins und Tilgung ungemein belasten. Zusätzlich wollen CDU und CSU Unternehmensteuern senken, den Spitzensteuersatz womöglich runterfahren bei gleichzeitig geminderten Einnahmen in den kommenden Jahren. An keiner Stelle sagt die Union, wie sie das kompensieren will. Sie traut sich nämlich nicht, den letzten Schritt zu erwähnen. Das ist nur mit massiven Kürzungen unter anderem beim Sozialstaat und Zukunftsinvestitionen zu erreichen. Wir hatten bereits vor der Krise eine zu große Vermögens- und Einkommensungleichheit. Allein aus diesem Grund ist es notwendig, sich anzuschauen, wie man dieses auch volkswirtschaftlich schädliche Auseinanderdriften verringert. Allein deshalb brauchen wir Veränderungen bei der Erbschaftsteuer, dem Spitzensteuersatz und eine Wiederbelebung der Vermögensteuer. Das ist auch Beschlusslage der SPD und wird Teil unseres Wahlprogramms im kommenden Jahr sein.

Sie haben jetzt diverse Differenzen mit der Union dargestellt. Was tun die Sozialdemokraten aktuell dafür, dass es im kommenden Jahr nach der Bundestagswahl zu einem Mitte-links-Bündnis kommen kann?

Wir haben die Aufgabe, ein Wahlprogramm zu schreiben, dessen Inhalt volkswirtschaftlich richtig und sozial gerecht ist. Dann wird man sehen, welche Mehrheiten es nach der Bundestagswahl geben kann, um dieses Programm umzusetzen. Ich bin einer der Sprecher der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion. Die Denkfabrik macht es sich seit Jahren zur Aufgabe, Mehrheiten jenseits der Union möglich zu machen. Wenn es nach der Bundestagswahl 2021 eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün und eine progressive Politik gibt, sollten wir diese auch wahrnehmen.

Im Papier der Parlamentarischen Linken steht aber auch: Gerade die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat das getan, was die Bürger von ihrer politischen Führung erwarten dürfen: verantwortungsvolles, gemeinsames, erfolgreiches Handeln. Das klingt so, als ob man doch wieder zusammenkommen könnte, wenn es mit Rot-Rot-Grün nicht klappen sollte.

Das, was Sie zitiert haben, trifft auf jeden Fall auf die Coronazeit zu. In dieser Krise kommt die volkswirtschaftlich falsche Politik der Union auch nicht zum Tragen. Wir machen stattdessen in der Großen Koalition eine klassische sozialdemokratische Finanz- und Wirtschaftspolitik. Aber in der Debatte, wie wir aus dieser Krise herauskommen und welche Politik wir danach machen wollen, da tun sich jetzt schon große Differenzen in der Bundesregierung auf.

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