Arbeiten wie im Hamsterrad

Krankenpflegerin Anja Voigt über die Zustände im Krankenhaus und die Akzeptanz der Warnstreiks

Hat sich durch den Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland etwas an der alltäglichen Arbeit in der Krankenpflege geändert?
Sie hat die schon bestehende Krise bestätigt und noch weiter verschlimmert. Seit Jahren sind unsere Arbeitsbedingungen schlecht, aber durch Corona spitzt sich alles noch mehr zu. Es gibt einfach noch mehr Arbeit teils mit noch weniger Personal. Dazu kommt die fehlende Schutzausrüstung. Aktuell kommen viele Probleme zusammen.

Wie kommt es, dass jetzt mehr Personal fehlt?
Einerseits gibt es teilweise mehr Patienten. Dazu kommt, dass man für die Corona-Patienten Schutzmaßnahmen ergreifen muss, man muss Hygienestandards einhalten. Um einen Corona-Patienten kümmert sich eine Pflegerin. Alle anderen Patienten, die ganze andere Arbeit wird dann von dem restlichen Personal gemacht.

Seit zehn Jahren auf der Intensivstation
Anja Voigt arbeitet seit über 20 Jahren als Krankenpflegerin, die letzten zehn Jahre auf einer Intensivstation. Die 48-Jährige ist im Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus, im Aktionsbündnis Gesundheit ohne Profite und bei Verdi aktiv. Mit ihr sprach Lisa Ecke.

Welche Auswirkungen hat denn der Personalmangel?
Das ist sehr vielfältig. Zum einen ist die Patientenversorgung nicht so, wie sie sein sollte. In vielen Bereichen wirkt sich das sogar gefährdend auf die Patienten aus. Außerdem entsteht natürlich eine ungeheure Belastung für das Personal, sowohl körperlich als auch psychisch. Viele meiner Kollegen sind mittlerweile von Burn-out betroffen. Junge Kollegen hören nach wenigen Jahren im Beruf auf, weil sie es einfach nicht mehr schaffen. Sie können sich nicht vorstellen, es bis zu ihrer Rente in der Krankenpflege durchzuhalten. Das ist eine Spirale: Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Leute gehen deshalb aus dem Beruf, und es ist immer weniger Personal da.

Haben Sie ein Beispiel einer Patientengefährdung?
Naja, ich arbeite im Intensivbereich. Normalerweise betreue ich in einer Schicht zwei Patienten, manchmal habe ich aber drei oder vier. Dann muss ich mir überlegen, welche Arbeiten ich weglasse. Ich kann nicht alles schaffen. Viele Dinge bleiben auf der Strecke. Man hat keine Zeit mehr, steht andauernd unter Druck. Man denkt immer nur: Was mache ich als nächstes, was hat Priorität? Und vor allem: Was habe ich alles vergessen?

Ist das ein durch die Pandemie entstandenes neues Phänomen?
Nein, ich arbeite schon immer wie ein Tier, bin immer angespannt. Jetzt verschärft sich aber noch alles. Dazu kommt, dass ich dann mitunter nicht mal geeignetes Material habe, um mich selber vor einer Corona-Infektion zu schützen. Es kommt immer noch alles obendrauf und es wird nicht besser. Es ist ja nicht so, dass sich die Situation irgendwie entspannt. Ich habe das Gefühl, wir arbeiten seit April in einem Dauer-Hamsterrad. Es ist schon sehr anstrengend.

Müssen Sie Ihr Schutzmaterial teilweise selber beschaffen?
So weit ist es bei mir noch nicht, aber es ist immer eng und rationiert. Man muss überlegen: Wechsele ich jetzt noch mal die Maske? Die Krise geht schon eine ganze Weile, und man könnte erwarten, dass mittlerweile dafür gesorgt wird, dass wenigstens alle Schutzmaterialien ausreichend da sind. Es ärgert mich echt, ich habe das Gefühl, es ist wie am Anfang der Krise.

Hat die Arbeitsbelastung Auswirkungen auf den kollegialen Zusammenhalt?
In meinem Bereich nicht. Es ist sogar so, dass der Teamzusammenhalt in den letzten Monaten noch besser geworden ist. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot.

Was müsste sich jetzt als erstes ändern?
Es muss mehr Personal ins Krankenhaus. Aber man kann sich die Kollegen und Kolleginnen nicht backen. Wahrscheinlich müsste man deshalb erst mal über eine Leistungsreduzierung nachdenken. Dass man in einigen Bereichen einfach weniger Patienten aufnimmt, damit erst mal eine Beruhigung reinkommt und die Kollegen wieder Luft holen können.

Und danach?
Man muss die Arbeitsbedingungen verbessern, um mehr Personal zu bekommen. Man muss uns deutlich besser bezahlen. Ich finde auch, Menschen in der Schichtarbeit sollten früher in Rente gehen können und auch mehr Urlaubstage bekommen. Man könnte auch die wöchentliche Arbeitszeit reduzieren. All das würde den Beruf attraktiver machen. Was ich in letzter Zeit verstärkt wahrnehme: Man muss auch gesellschaftlich sagen, es ist ein wertvoller Beruf. Ich habe den Eindruck, dass der Beruf einen schlechten Stand hat.

Hat sich das durch die Coronakrise nicht gebessert?
Da war zeitweise dieses Applaudieren. Aber meine Wahrnehmung ist, dass unsere Arbeit, die wir leisten, gesellschaftlich gar nicht anerkannt ist. Auch diese Prämie von 300 Euro, Heldenprämie oder wie die auch genannt wird, wertet den Beruf nicht auf.

Es gibt aktuell einige Aktionen, um auf die Bedingungen in der Pflege aufmerksam zu machen.
Am Mittwoch gibt es vor dem Tagungsort der Gesundheitsministerkonferenz eine große Aktion, bei der auch eine Petition von Verdi übergeben wird. Außerdem finden im Moment die Verhandlungen für den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst der Kommunen statt. Verdi hat zu Warnstreiks aufgerufen, was in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen wird.

Gibt es durch die Pandemie mehr Zustimmung für die Warnstreiks, als es vielleicht vorher der Fall gewesen wäre?
Ich habe schon mehrere Kommentare in Medien gelesen, die sich dagegen aussprechen. Ganz nach dem Motto: Es ist eine Frechheit, jetzt in der Rezession eine Gehaltserhöhung zu fordern. Ich finde das beschämend. Hier geht es um Leute, die während Corona alles am Laufen halten. Natürlich fordern wir jetzt auch mal einen entsprechenden Dank. Nur mit Applaus ist es wirklich nicht getan.

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