Inklusives Naturerleben

In Schöneberg eröffnet Berlins erste barrierearme Ausstellung für Umweltbildung

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Reiner Delgados Hände bewegen sich rasch tastend über das harte Kunststoffdisplay. Sie suchen die Fläche ab nach für ihn lesbaren Informationen. »Wo ist das mit der Geräuscherzeugung der Heuschrecke erklärt?«, fragt er, während seine Hände mit gespreizten Fingern weitersuchen. Delgado ist blind und Referent im Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV). »Ich bin gerne in der Natur, aber es gibt zwei Probleme«, erklärt Delgado. »Es ist schwierig, sich zu orientieren und man kriegt auch nicht so viel mit.«

Nicht zuletzt deshalb hat Delgado bei der Konzeption der barrierearmen Ausstellungserweiterung im Natur-Park Schöneberger Südgelände, die am Dienstag eröffnet wurde, gerne mitgearbeitet. Auch wenn das nicht immer einfach war: »Wir haben viel miteinander gerungen, aber man muss gelegentlich vehement sein, damit die Dinge auch so gemacht werden, dass sie gut sind.«

Der Natur-Park liegt auf dem Gelände eines ehemaligen Rangierbahnhofs, der bereits 1952 stillgelegt wurde. Seit 2000 wird das Gebiet sukzessive zu einem Park ausgebaut. Zu sehen sind hier zum einen Relikte wie eine gigantische Dampflok und die große Werkhalle, zum anderen hat sich hier in den letzten knapp 70 Jahren ein bemerkenswerter Wald entwickelt. Außerdem befindet sich hier der sogenannte Giardino Segreto, ein mit Metallobjekten gestalteter Kunstgarten.

Auf diversen Tafeln wird den Besucher*innen die Natur nähergebracht. Seit Neuestem finden hier auch sehbehinderte und blinde Menschen die Möglichkeit, sich zu informieren. Dafür wurden zusätzliche Tafeln aufgestellt und ein Bodenleitsystem entwickelt. Bei der Eröffnung der barrierearmen Ausstellung für Umweltbildung hebt Staatssekretär Stefan Tidow (Grüne) die »zunehmende Bedeutung der Natur« hervor. »Diese Mischung aus Kunst, Natur und diesen wunderbaren Bahnrelikten soll möglichst für alle erfahrbar sein.«

Wie gut das mit den Tafeln gelingt, ist Ansichtssache. Reiner Delgados Fazit fällt zwiespältig aus. Die Formen könnten noch besser modelliert sein und die Informationen seien nicht immer auf Anhieb zu finden, moniert er. »Teilweise gibt es nur Umrisslinien bei den Tierreliefs, solche Formen sind für Blinde schwer zu interpretieren. Da hätte ich mir flächige Formen und eine stärkere Dreidimensionalität gewünscht.« Durch die Ergänzung mit Audiokommentaren, die über QR-Codes abgerufen werden können, sei es jedoch möglich, die Informationen zu verstehen.

Die Unverständlichkeit der Reliefs ist nicht nur für Delgado »ein Wermutstropfen«. »Es gab viele Informationen zu ertasten, aber taktile dreidimensionale Dinge sind einfach eine Herausforderung«, findet auch Roswitha Röding vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein.

Steffen Zimmermann beschäftigt sich seit zehn Jahren mit inklusiver Gestaltung. Er hat die Ausstellung im Auftrag der Senatsverwaltung mitkonzipiert. »Die Heuschrecke war besonders kompliziert. Die Lauterzeugung taktil verständlich darzustellen, war eine große Herausforderung«, gibt er zu.

Das Landesunternehmen Grün Berlin, das die Ausstellung mitkonzipiert hat, plant, auf dem Gelände noch weitere taktile Tafeln anzubringen. Außerdem sei auf dem Klimapfad Grunewald eine Ergänzung mittels digitaler Elemente angedacht, die ein barrierearmes Naturerlebnis für blinde und sehbehinderte Menschen besser ermöglichen können, hieß es am Dienstag. Ob dann die Anregungen von Reiner Delgado und dem DBSV umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

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