Zerrissenheit am Einheitstag

Geplanter Auftritt von Arnold Vaatz spaltet Sachsens Landtag: Abgeordnete von Linkspartei, Grünen und SPD bleiben dem Festakt fern

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 3. Oktober wird sich Sachsens Landtag zu einer Feierstunde treffen - wie jedes Jahr. An diesem Samstag werde die Veranstaltung mit einer »gegenüber den Vorjahren deutlich reduzierten Teilnehmerzahl« ausgerichtet, ist in der Presseeinladung zu lesen. Auslöser ist die Corona-Pandemie. Doch die Reihen der Abgeordneten werden aus einem anderen Grund gelichtet sein. Weil sie den Festredner für ungeeignet halten, bleiben die Abgeordneten von Linkspartei, Grünen und SPD und damit 36 der 119 Abgeordneten dem Festakt im Plenarsaal fern.

Es ist Arnold Vaatz, dessen geplanter Auftritt für Verstimmung sorgt. Im Herbst 1989 gehörte er zur »Gruppe der 20« in Dresden. Später war er Umweltminister in Sachsen, heute sitzt er im Bundestag, wo er sogar Vizechef der CDU/CSU-Fraktion ist. Vaatz sei »führender Protagonist der friedlichen Revolution« in Sachsen, erklärte dessen Parteifreund und Landtagspräsident Matthias Rößler, der allein die Entscheidung traf, ihn einzuladen. Auch habe er sich um die Wiedergründung des Freistaats verdient gemacht und stehe für dessen »Rückkehr in die Geschichte«.

Das ist 30 Jahre her. Der 3. Oktober sei jedoch ein »Gedenktag in der Gegenwart«, sagt Franziska Schubert, Fraktionschefin der mitregierenden Grünen. In dieser Gegenwart tat sich Vaatz zuletzt als Kolumnist des neurechten Blogs »Tichys Einblick« hervor, auf dem er Vergleiche zwischen den aktuellen politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik und jenen in der späten DDR und sogar der NS-Zeit zog. Anlass war die Demonstration gegen Corona-Schutzmaßnahmen in Berlin Anfang August. Die DDR habe versucht, »die Straße leer zu bekommen«, indem Demonstranten als Agenten von CIA und BND verdächtigt worden seien, schrieb Vaatz; heute geschehe das mit der Drohung, als Nazi diffamiert und damit »gesellschaftlich ruiniert« zu werden. Bei den Nazis, fügte er hinzu, sei es Sippenhaft gewesen, im Deutschland von heute sei es »Kollektivhaft«.

Die Äußerungen stießen auf breite Kritik. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erklärte, der Unionsfraktionsvize denunziere »den demokratischen Rechtsstaat und die freie Presse«. Nach Ansicht des Rechtsextremismusexperten David Begrich gehört Vaatz zu jenen DDR-Oppositionellen, »deren politische Präferenzen sich weit nach rechts verschoben« haben. Seine Behauptung, man könne seine Meinung in der BRD nur noch unter »Samisdat-Bedingungen« äußern, sei »jener der Rechten nicht unähnlich«.

Viele sächsische Abgeordnete wollen diesen Redner nicht hören, zumal in einem Format, das keine Diskussion vorsieht. Vaatz »irrlichtert seit Jahren durch die politische Landschaft«, sagte Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt. Er könne nicht erkennen, was ihn für eine Ansprache am Feiertag qualifiziere. Dies werde »weder der Würde des Landtags noch der Bedeutung des Einheitsjubiläums gerecht«. Franziska Schubert, seine Amtskollegin von den Grünen, erklärt, Vaatz’ Diktaturvergleiche zeugten von einer »Verachtung für unsere demokratischen Institutionen«; man halte ihn als Redner für ungeeignet.

Die SPD betont, Vaatz habe »ohne Zweifel enorme Verdienste« in der Vergangenheit. In einem offenen Brief an Rößler und Vaatz betonen die zehn Abgeordneten aber, heute wirkten viele seiner Äußerungen »auf uns trennend, spaltend, polarisierend und eben nicht verbindend, nicht suchend und nicht integrierend«. Man halte die Wahl des Redners »an einem Tag, der das Verbindende hervorheben sollte, für falsch«. Mehrere Versuche, Rößler umzustimmen, seien gescheitert: »Deshalb werden wir dem Festakt nicht beiwohnen.« Rößler appellierte in einer Antwort: »Lassen Sie uns bitte Zerrissenheit vermeiden.« Ansonsten wiederholte er indes nur seine Lobrede auf Vaatz, der nun am Samstag nach Rößler und Ministerpräsident Michael Kretschmer (ebenfalls CDU) spricht.

Manchen in der CDU dürfte die Konstellation an die aus Sicht der Partei seligen, seit 2004 aber vergangenen Zeiten erinnern, als die Partei den Freistaat allein regierte. In den Online-Netzwerken wird angemerkt, mit der Einladung an Vaatz feiere sie sich noch einmal als »Sachsens Staatspartei«. Womöglich handle es sich um eine gezielte Provokation der Koalitionspartner. Immerhin habe Rößler im Wahlkampf 2019 für eine CDU-FDP-Minderheitsregierung geworben, die die AfD hätte tolerieren sollen. Nun sind CDU und AfD beim Festakt unter sich. Die Abgeordneten von Linke, SPD und Grünen beteiligen sich an regionalen Einheitsfeiern oder nehmen andere Termine wahr. Man habe, heißt es etwa bei der Linken, »Besseres zu tun, als Herrn Vaatz zu lauschen«.

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