Eins teilt sich in zwei

Zur deutsch-deutschen Vereinigung spaltete sich der Kommunistische Bund.

Als 1989 der Osten zusammenklappte, waren im Westen alle erstaunt. Besonders die Linken, unter denen die DDR kaum mehr diskutiert worden war. Sie interessierten sich mehr für die Sowjetunion, wo es nach Jahrzehnten der Erstarrung unter Gorbatschow wieder munterer zuging.

Ende der 60er Jahre waren viele von China begeistert gewesen. Zwar hatte Mao Tse-tung das Land mit der Kulturrevolution ins Chaos gestürzt, doch das fand man gerade gut. Am besten, die BRD würde ähnlich durchgeschüttelt. Davon träumten maoistische Gruppen, die sich ersatzweise selber durchschüttelten und gegenseitig als Verräter verdammten. Jeder Zirkel wollte seine eigene Kommunistische Partei sein, als Nachbau der KPD der Weimarer Republik. Man nannte sie K-Gruppen. Eine stach besonders hervor, weil sie nicht so theatralisch war: der Kommunistische Bund (KB). Er wollte keine Partei sein und hatte kein Programm, nur ein Statut. Und er hatte mehr Betriebsgruppen als alle anderen K-Gruppen zusammen.

Die Möglichkeiten suchen

Der KB war aktionsorientiert, ein »Trüffelschwein«, wie ihn Georg Fülberth nannte, stets auf der Suche nach Möglichkeiten der politischen Einflussnahme, in der Ökologiebewegung, Friedensbewegung, Frauenbewegung etc. So unterschiedliche Leute wie Jürgen Trittin (Grünen-Minister), Ulla Jelpke (Linkspartei), Thomas Ebermann (politischer Performer), Jürgen Reents (Chefredakteur vom »Neuen Deutschland«) oder Jürgen Elsässer (erst links-, dann rechtsradikal), sie waren alle mal im KB.

»Wir hatten auch Sektencharakter, aber in geringerem Maße als die meisten K-Gruppen«, erzählt Heiner Möller, einer der KB-Mitgründer 1971. »Wir hatten ›Maoisten‹, waren aber keine ›maoistische‹ Organisation«, sagt er. Aber wenn ein Schiff aus China im Hamburger Hafen einlief, dann ging der KB an Bord und trank mit der Besatzung Tsingtao-Bier, berichtet Knut Mellenthin, auch er war von Anfang an dabei. Heute sind beide Mitte 70. Möller ist gelernter Buchhändler und wurde für den KB Maschinenschlosser, um im Hamburger Hafen zu arbeiten und zu agitieren. Mellenthin hat mal Kunstgeschichte studiert, heute ist er Journalist. Möller arbeitet als Handwerker am Hamburger Stadtrand in einem Mehr-Generationen-Wohnprojekt.

Möller und Mellenthin waren im »Leitenden Gremium« (LG), dem Vorstand des KB. Es gab keinen Vorsitzenden, die Entscheidungen wurden konsensuell gefällt. Es herrschte eine starke Diskussionskultur, was auch den »Arbeiterkampf« (AK), die Zeitung des KB, zu einer Art »Spiegel« der Linksradikalen machte, zu Hochzeiten mit einer Auflage von 23 000 Exemplaren, zweiwöchentlich. »Das war toll: Wir machten eine Zeitung, ohne es gelernt zu haben, ohne Lehrer und Vorgesetzte, in einer kollektiven und gleichberechtigten Form von learning by doing«, erinnert sich Mellenthin.

Im Prinzip waren die Mitglieder des LG mit den Redakteuren des AK identisch. In der Redaktion gab es eine Ablage für neu eingereichte Manuskripte. War eine Redakteur*in mit einem Text nicht einverstanden, musste noch eine weitere Kritiker*in gefunden und dann konnte man eine Diskussion eröffnen, die dann auch gedruckt wurde. Ganz so wie Mao das Prinzip der Dialektik erklärt hatte: »Eins teilt sich in zwei.«

Das galt auch für den KB selbst, als sich 1979 eine starke Fraktion (»Gruppe Z«) in die Grünen abspaltete. Diese Spaltung ging quer durch die Gruppen, WGs und Beziehungen. Danach war eigentlich die Luft raus. »Rückblickend betrachtet hätten wir den KB damals ebenso gut auflösen können. Denn von dem Verlust an Menschen durch die Spaltung haben wir uns nie wieder erholt«, meint Mellenthin heute.

Stattdessen versuchte man die Grünen von außen zu kritisieren, aber auch von innen: Möller wurde als KBler Geschäftsführer der Grünen in Hamburg, die damals noch GAL hießen und sehr links waren. Trotzdem: »Man wusste sofort, wer Karriere machen will«, sagt Möller. Die Realos in den Grünen wurden immer stärker. Gegen sie unterstützte der KB Ende der 80er Jahre die »Radikale Linke«, eine Initiative für eine neue Oppositionsbewegung gegen »rosa-grüne Besoffenheit«.

Plötzlich macht es bumm

Doch dann brach die DDR zusammen. Zwar hatte Mao gesagt, »die Wahrheit des Marxismus« könnte »in einem Satz zusammengefasst werden: Rebellion ist gerechtfertigt«, aber so hatte man sich das nicht vorgestellt. Für die »revolutionäre Linke« der BRD, zu der sich der KB zählte, war das, was in der DDR passierte, Konterrevolution. »Sie sagen Freiheit und meinen D-Mark«, schrieb im »AK« Detlef zum Winkel im September 1989 und ekelte sich vor den »Zonis«, denen er »gern die Fresse poliert hätte«, als diese »Hurra-Flüchtlinge« in Zügen aus der Prager Botschaft angerollt waren, aber nun sei es zu spät, »die nationale Welle überrollt alles«.

Zum Winkel artikulierte einen existenzialistischen Ekel à la Jean-Paul Sartre. Aber was war die Erkenntnis? Im LG des KB gab es darüber keinen Konsens. Im Dezember erschien auf der Titelseite des »AK« eine Erklärung des LG mit dem Heinrich-Heine-Zitat »Denk’ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht«, die nicht einstimmig verabschiedet worden war – ein Novum in der Geschichte des KB. Man wolle die »Anerkennung der DDR« durchsetzen, postulierte man, denn die deutsche Einheit sei »unmissverständlich der Versuch, eine Großmacht zu etablieren, die die Menschen anderer Länder bedroht. Ein Recht auf Imperialismus lässt sich nicht begründen.« Doch ein Jahr später war die DDR Geschichte.

Diese Rasanz war für alle Linken, ob revolutionär oder gemäßigt, überraschend. »Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die DDR als Staat so schnell endet«, sagt Mellenthin rückblickend, »und was ich mir noch weniger vorstellen konnte, war, dass es in der größer gewordenen BRD selbst für Beamte keine gleiche Bezahlung mehr geben sollte, sondern eine für den Westen und eine geringere für den Osten.«

Im KB entstand Konfusion. Was war nun zu tun? Auf den Sitzungen des LG gab es Streit, Leute liefen heulend raus, das Konsensprinzip war endgültig dahin. Die einen wollten mit den Linken der DDR, das hieß in erster Linie mit denen, die die SED zur PDS umgewandelt hatten (und das waren nicht die Opportunisten und Stalinisten), zusammenarbeiten. Die anderen wollten Reflexion, denn sie hatten den Eindruck, dass man dies über die Jahrzehnte versäumt hatte, als Trüffelschwein, das immer sucht, aber niemals innehält. Der KB zerfiel in zwei Lager.

Möller war 1990 bei der »Minderheit«, aus der die Bewegung der Antideutschen entstand: »Antideutsch hieß gegen Großdeutschland sein.« Mellenthin war bei der »Mehrheit«, die dann mithalf, die PDS in Westdeutschland aufzubauen. Auf dem Ticket der PDS/Linken Liste kamen dann zwei KBlerinnen in den ersten gesamtdeutsch gewählten Bundestag: Ulla Jelpke und Andrea Lederer, während die »Minderheit« diese »Reichstagswahl« boykottierte.

Die »Minderheit« wollte wissen, was das eigentlich sein soll, »Volk«? Es schien so, als hätte man früher immer darüber geredet, aber nie drüber nachgedacht. Und wenn man schon einmal dabei war, was war mit Nationalismus? Und mit Antisemitismus? »Da war viel aufzuarbeiten. Wir hatten im KB zwar einen Faschismusbegriff, aber wir haben uns kaum gefragt, warum der Faschismus in den Köpfen war, auch noch nach dem Krieg«, erzählt Möller. Nun fingen sie an, Kritische Theorie zu lesen: »Bestimmt haben KBler auch vorher schon Adorno und Marcuse gelesen, aber wir haben diese Autoren nie gemeinsam diskutiert.«

Aggressiv und kooperativ

Das Verhältnis zwischen »Minderheit« und »Mehrheit« war ungefähr 40:60. Das ergab sich aus den Abstimmungen von 235 Mitgliedern, die sich im März 1990 in Hamburg versammelt hatten, Anfang 1989 hatte der KB noch 1000 Mitglieder gezählt. Als er sich schließlich im April 1991 auflöste, waren es nur 200. »Die Stimmung auf unserem Auflösungskongress habe ich als stellenweise sehr aggressiv, aber nicht als depressiv empfunden. Vermutlich waren alle Beteiligten froh, dass es vorbei war«, sagt Mellenthin.

Die »Minderheit« nannte sich nun »Gruppe K«, ein Wortspiel mit K-Gruppe. Möller: »Wir haben den anderen gesagt: Vom KB kriegt ihr das ›B‹ und wir das ›K‹, denn wir sind Kommunisten.« »Für mich war das keine Gruppe«, sagt Mellenthin, »die hatten zu viele Gegensätze.« Trotzdem gaben »Mehrheit« und »Minderheit« bis zum August 1992 den »AK« gemeinsam heraus. Hierzu hatten sie einen Vertrag unterzeichnet. »Redaktionelle Probleme gab es dabei meiner Erinnerung nach nicht, da beide Seiten ihr Kontingent an Debatten- und Streitartikeln völlig autonom verwalteten«, resümiert Mellenthin. »Das waren zwei Redaktionen, die Leute, die noch besser miteinander konnten, hielten den Kontakt«, berichtet Möller.

Aber das reichte nicht. Eins teilt sich in zwei, hatte Mao gesagt. Die »Mehrheit« bekam die Zeitung und benannte sie in »analyse & kritik« (ak) um. Die »Minderheit« gründete eine neue Zeitschrift: »Bahamas«. Der Titel war eine ironische Antwort auf die Empfehlung der »Mehrheit«, wer keine Lust mehr auf die deutsche Politik habe, könnte sich auf die Bahamas zurückziehen. Da sei auch das Klima besser. Die Zeitschrift aber erschien in Hamburg. Möller wurde ihr Redakteur. Mellenthin machte im »ak« weiter. Mitte der 90er hörten beide auf.

»ak« und »Bahamas« gibt es noch, aber anders. Die Gruppe K löste sich 1995 auf, weil sie nicht mehr wusste, was es noch für sie zu tun gab. Sie wollte die Linke größer machen und nicht kleiner. In der Opposition. Allein unter Deutschen.

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