»Jetzt machen wir erst recht weiter«

Das queere, post-migrantische Kollektiv »erklär mir mal« über Strategien im Umgang mit Hate Speech

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie haben Anfang Mai den Instagram-Kanal »erklär mir mal« ins Leben gerufen. Warum?

Maja Bogojević: Uns ist aufgefallen, dass in politischen Debatten oft Begriffe benutzt werden, die Leute nur kennen, wenn sie sich schon länger in bestimmten Kontexten bewegen oder einen akademischen Hintergrund haben. Viele von uns kommen aus Arbeiter*innenfamilien und wissen, wie ausschließend das ist, und wie sich das durch viele Bereiche der Teilhabe zieht. Unsere Idee war dann, eine digitale Plattform aufzubauen, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigt: Was bedeutet denn überhaupt Bildungsungleichheit - und wer ist besonders davon betroffen? Was sind eigentlich Gastarbeiter*innen? Und was verbirgt sich hinter dem Begriff Intersektionalität? Jeden Dienstag veröffentlichen wir ein neues Video. Den Rest der Woche folgen dann weiter Inhalte: Memes und Begriffserklärungen zum Beispiel.

Maja Bogojević und Ed Greve

Maja Bogojević ist feministische Sozialwissenschaftler*in und politische Trainer*in. Als Gründer*in und Produzent*in von "erklär mir mal..." beschäftigt sie sich mit Fragen der Zugänglichkeit in der politischen Bildung.

Ed Greve ist Politischer Referent beim Migrationsrat Berlin und Trainer bei i-PÄD, der Kompetenzstelle für intersektionale Pädagogik.

Mit ihnen sprach für "nd" Vanessa Fischer.

Sie richten sich mit der Plattform also gezielt an Menschen aus dem Arbeiter*innenkontext?

Maja Bogojević: Als Person, die selber aus einer Arbeiter*innenfamilie kommt, kenne ich das Gefühl, bestimmte Zugänge nicht automatisch zu haben. Dennoch ist die Gruppe »Arbeiter*innen« viel zu heterogen, und auch Leute, die Akademiker*innen sind, sind nicht automatisch für politische Diskurse sensibilisiert. Deshalb würden wir die Zielgruppe gar nicht so festlegen, weil sich alle mit allem beschäftigen sollten. Wir wollen vor allem Leute adressieren, die sich als post-migrantisch und/oder queer positionieren. Personen aus Arbeiter*innenkontexten und generell Personen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren. Denn diese Perspektiven werden oft nicht berücksichtigt.

Ed Greve: Es ist ja generell oft so, dass Zielgruppen ähnlich sind wie das Team, das die Inhalte produziert, einfach weil die Perspektiven dann anschlussfähiger sind. Das ist in Mainstream-Medien für die Mehrheitsgesellschaft nicht anders.

Und wer ist das Team?

Ed Greve: An dem Projekt arbeiten zurzeit 15 Personen mit. Menschen, die von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen sind und über ihre eigenen Themen und Erfahrungen sprechen. Einige von uns kommen aus der Jugendarbeit, andere arbeiten wissenschaftlich, wieder andere sind viel in Community-Projekten unterwegs...

Maja Bogojević: ... manche studieren, andere nicht. Einige arbeiten journalistisch oder sind Lehrer*innen. Viele kommen aber aus der politischen Bildungsarbeit. Und so sind wir auch auf die Idee für das Projekt gekommen: Wir hatten das Gefühl, seit Jahren immer wieder das Gleiche erzählen zu müssen und dachten, es wäre praktisch, wenn es dieses Format quasi als Basis gibt, auf die verwiesen werden kann. Natürlich wollen wir, dass weiterhin alle miteinander sprechen, aber manchmal ist das ein bisschen ermüdend, wenn man fünfmal am Tag die gleichen Dinge erklären muss. Da wollten wir Leute entlasten.

Und geht es Ihnen auch um mehr Repräsentation?

Ed Greve: Ja auch; Menschen, die (Mehrfach-)diskriminierung erfahren, sind die ganze Zeit schon Teil dieser Gesellschaft. Man sollte meinen, dass das selbstverständlich logisch ist, aber ist es offensichtlich nicht: Wir kommen mit unseren Wünschen, Sorgen, Visionen oder auch Ängsten nicht oder viel zu wenig vor. Das betrifft unsere Medienlandschaft, das Bildungssystem, aber auch alle anderen Institutionen und Strukturen in Deutschland. Das Ziel ist es, Zugang und Teilhabe zu schaffen für alle, zu den Strukturen, die wir brauchen. Mit mehr Sichtbarkeit und Repräsentation alleine ist das aber nicht getan.

Warum nicht?

Maja Bogojević: Wir müssen auch schauen, wo genau Repräsentation gefordert wird. Sind das Positionen, auf denen Entscheidungen getroffen werden können? Positionen, auf denen strukturelle Veränderungen bewirkt werden können? Oft ist das nicht der Fall. Es reicht nicht, eine Person, die Diskriminierungserfahrungen macht, vor die Kamera zu setzen, wenn die komplette Produktionsfirma Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft ist. Und wir müssen auch politische Positionen mitdenken: Es hilft nicht, eine Person mit sogenanntem Migrationshintergrund in eine Partei zu setzen, die migrationsfeindliche Politik betreibt.

Sie haben gerade auch ein Problem mit einem rechten Mob ...

Maja Bogojević: Ende September hatten wir, in Kooperation mit dem »Queer History Month«, eine Themenwoche zu queerer Elternschaft. Unsere Autorin Peimaneh hat einen Post zu genderneutralen Begriffen für Familienmitglieder vorbereitet - Bezeichnungen für nicht-binäre Elternteile, zum Beispiel MaPa. Der Beitrag wurde dann über 9000-mal geteilt, oft mit sexistischen, ableistischen und transfeindlichen Kommentaren. Also genau gegen die Perspektiven, aus denen einige von uns sprechen. Und das wissen die Leute, die diese Kommentare schreiben ja auch. Genau das macht Hate Speech aus: dass es gezielt und organisiert ist. Wobei wir natürlich sagen: Jetzt machen wir erst recht weiter. Aber es war schon hart, wir haben bis nachts Kommentare gelöscht.

Ed Greve: Die kamen auch im Sekundentakt. Für die Leute, die die Kommentare schreiben, ist der Aufwand extrem gering, das sind wenige Klicks. Vor allem im Vergleich zu dem Aufwand, den wir betreiben, um die Kommentare zu lesen, zu verarbeiten und zu löschen.

Und wie sind Sie dann weiter vorgegangen?

Ed Greve: Wir haben dann beschlossen, die Kommentare im Schichtbetrieb zu dokumentieren und löschen. Jede Person durfte nur eine Stunde und musste danach Pause machen. So etwas ist auch Selbstschutz.

Maja Bogojević: Weil der Aufwand ab einem Zeitpunkt zu groß war - und wir keine Expert*innen sind, haben wir mit der Organisation »HateAid« gesprochen. Die haben das dann übernommen, dokumentieren die Kommentare jetzt und werden sich auch drum kümmern, sollten weitere rechtliche Schritte eingeleitet werden.

Irgendwann haben Sie eine Triggerwarnung ausgesprochen und Leuten davon abgeraten, den Post anzuschauen.

Maja Bogojević: Die Triggerwarnung bezog sich auf die Kommentare unter dem Post. Wir wollten unsere Follower*innen und unser Team schützen. Wir wollen Leute ja empowern. Und das funktioniert nicht, wenn sie unter einem Post über nicht-binäre Elternschaft in der Kommentarspalte lesen, wie ein rechter Mob Queerness zerreißt. Wir haben aber auch viel Solidarität erfahren. Leute, die uns Hilfe beim Löschen von Kommentaren angeboten haben oder sich bei uns für unsere Arbeit bedankt haben. Das war total wichtig und bestärkend.

Und wie kann man Sie und ähnliche Projekte weiter unterstützen und auch in Zukunft vor Hass im Netz schützen?

Ed Greve: Community-Solidarität ist natürlich total wichtig. Die Frage bleibt aber: Wie nachhaltig ist das? Wie oft kann man so was mitmachen, bevor das ein Projekt gefährdet? Weil Leute ausbrennen, weil sich das nicht mehr leisten lässt, weil Accounts dann doch abgeschaltet werden müssen - oder das zumindest als Option diskutierbar sein muss. Das ist aber oft nicht der Fall, weil wiederum Förderkriterien dem im Weg stehen.

Wie meinen Sie das?

Ed Greve: Der Erfolg eines Projekts bemisst sich oft an der Klick- und Nutzer*innenzahl. Da ist es auch wichtig, sich zu fragen: Wie können Strukturen und Institutionen, die ein Interesse an neuen Zielgruppen haben und gerne auch neue Medienformate fördern - sei es etwa die Landeszentrale für politische Bildung oder Stiftungen - den Fortbestand solcher Projekte sichern. Solche Stellen müssen sich mit Expert*innen zusammensetzen, die Content produzieren und aus der Praxis sprechen, selbst Hate Speech erfahren haben und wissen, welche Problemlagen das auch langfristig mit sich bringt. Man muss gemeinsam überlegen, wie Förderprogramme und Förderrichtlinien aussehen müssen, damit Leute solche Projekte geschützt umsetzen können. Damit sie sich darauf verlassen können, dass die fördernde Stelle zu einhundert Prozent hinter ihnen steht, wenn es zu so einem Ausnahmezustand kommt - und praktische Unterstützung leistet, damit der Umgang mit Hass im Netz nicht in der Selbstverantwortung der Betreiber*innen und solidarischer Communities liegt.

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