Lieder aus einer untergegangenen Welt

Shakatak, die musikalische Verkörperung der 80er, feiern ihr 40-jähriges Bestehen

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.

Frage in die Runde: Wer sind die für die 80er Jahre typischsten Musiker? Michael Jackson, der in jeder Hinsicht die Trennung zwischen Schwarz und Weiß aufhob? Oder Prince, der das 80er-Motto »Any-thing goes« (»Alles ist möglich«) musikalisch umsetzte, indem er alle denkbaren Stile miteinander verrührte? Oder Madonna, die sich immer wieder neu erfand und damit nicht nur Frauen signalisierte, dass Identität veränderbar war - »ich bin mein eigenes Experiment, ich bin mein eigenes Kunstwerk.« Oder Frankie Goes To Hollywood, die wie keine zweite Band den Größenwahn, Narzissmus und Rausch jenes Jahrzehnts verkörperten?

Alles richtig. Und doch ist keine Formation typischer für jene Zeit als Shakatak, die 1980 - pünktlich zum Jahrzehntbeginn - gegründet wurden. Denn während Madonna & Co. sich auch in anderen Jahrzehnten behaupteten oder behauptet hätten, fanden Shakatak nur in den 80ern den kulturellen Nährboden und das gesellschaftliche Klima vor, in dem sie gedeihen konnten.

Das lag natürlich an den zahllosen Neonbars, die damals in Westeuropa aus dem Boden schossen und die eine unaufdringliche, zeitgemäße Klangtapete benötigten - immer nur Whiskymelancholie (Sinatra, Knef, französische Chansonniers), das hätte auf Dauer kein Cocktailschlürfer ausgehalten.

Es lag zudem daran, dass in dem Maß, in dem der Kalte Krieg milder wurde, auch die Menschen auftauten, lockerer wurden, entspannten. Die Zeit der Parolen, der geballten Fäuste, des überbordenden Pathos war (trotz BAP und U2) vorbei. Anders als noch in den 70ern mussten Lieder nicht mehr das Leben verändern, denn dieses war ja eigentlich ganz okay. Also hörten viele Menschen Musik, die auch ganz okay war. Und die beste und erfolgreichste unter den ganz okayen Bands war Shakatak, weil deren Musiker ihre Instrumente so gut beherrschten, dass man das Ergebnis - mit ein wenig Wohlwollen - als »Jazz-Funk« bezeichnen konnte.

Das tat niemandem weh. So wie das Leben damals kaum einem wehtat. Terrorismus war nur eine Erinnerung an Schießereien, die Jahre zurücklagen. Mit Extremismus beschäftigten sich allenfalls noch hauptberufliche Verfassungsschützer und nebenberufliche Soziologiestudenten. Und Krieg? Ja, davon hatte man gehört. Irgendwo am Hindukusch bekämpften Russen und Afghanen einander. Aber was, bitte sehr, hatte das mit dem Leben in Westeuropa zu tun?

Heute wissen wir: eine Menge. Der große und cleane Kalte Krieg ist von vielen schmutzigen Klein- und Kleinstkriegen abgelöst worden. Nur Shakatak, die gibt es immer noch. Ihre heutigen Songs klingen nicht viel anders als 1980. Zu ihrem 40-jährigen Jubiläum haben sie jetzt »All Around The World«, eine 4er-Box mit Hits und Raritäten herausgebracht. Übrigens nicht auf Vinyl, sondern auf CD. Wer in den 80ern modern sein wollte, mottete seine Schallplatten ein und stieg auf die kleinen digitalen Scheiben um. Selbst in der Wahl des Tonträgers sind Shakatak also sich und ihrem Jahrzehnt treu geblieben - was irgendwie Hoffnung macht.

Shakatak: »All Around The World« (Secret)

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