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Der Vermarktung verpflichtet

Warum das deutsche Nationalteam drei Partien in sieben Tagen spielen muss

  • Frank Hellmann, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sinnfrage, daran erinnert sich Oliver Bierhoff sehr gut, komme eigentlich jedes Jahr im Herbst auf Wiedervorlage. Immer im Oktober, wenn die Saison in den Ligen gerade erst begonnen hat und die besten Fußballer zu Länderspielterminen abgestellt werden müssen, werde die Existenzberechtigung der Nationalmannschaft infrage gestellt. Das Gegenargument des DFB-Direktors lautet sodann, sich an »große Turniere mit tollen Mannschaften« zu erinnern. Dummerweise trat unlängst ausgerechnet Bundestrainer Joachim Löw als Kritiker auf, der speziell das Freundschaftsspiel an diesem Mittwoch gegen die Türkei als überflüssigen Termin bezeichnete, der den Nations-League-Partien in der Ukraine am Sonnabend und drei Tage später gegen die Schweiz vorgeschaltet ist. Tenor: Eigentlich würde er viel lieber trainieren als spielen. Drei Länderspiele in sieben Tagen seien zu viel.

Bierhoff warb auf der Pressekonferenz am Montag um Verständnis für die Herausforderungen in besonderen Zeiten, die »für den gesamten DFB nicht einfach« seien. Zugegebenermaßen besitze der Test »sportlich nicht die ganz große Bedeutung«. In Köln tritt ja nur eine B-Elf an. Acht Stammkräfte - vom FC Bayern und RB Leipzig sowie Toni Kroos von Real Madrid - werden erst am Dienstagabend anreisen, um dann in der Ukraine aufzulaufen. Und aus dieser Reise ergibt sich gleich das nächste Problem: Von Schachtjor Donezk wurden Torhüter Andrij Pjatov und Mittelfeldspieler Taras Stepanenko positiv auf das Coronavirus getestet, ein halbes Dutzend Nationalspieler muss in Quarantäne.

Bei solchen Nachrichten, gab Bierhoff zu, denke man sofort, »was das bedeutet«. Nämlich: »Wir werden in der Ukraine sehr vorsichtig hantieren«. Eine Absage der Reise in ein Risikogebiet wird indes nicht erwogen. Hinter einem einzigen Länderspiel stehen mittlerweile zweistellige Millionensummen. Der Nationalmannschaftsmanager verwies deutlich auf die »vertraglichen Verpflichtungen« gegenüber der Uefa, die dem DFB für insgesamt 40 Länderspiele in einer vierjährigen Rechteperiode eine hohe Summe garantiert hat. Intern kalkuliert der DFB allein für das Freundschaftsspiel gegen die Türkei mit fast zehn Millionen Euro Einnahmen.

Der deutsche Verband hat damit aber auch jeden Gestaltungsspielraum verkauft. Man bekomme einen Kalender vorgelegt, erläuterte Bierhoff, bei dem nur noch Termine und Uhrzeiten entgegengenommen werden. Deswegen werde auch im März 2021 an drei Terminen gespielt. Ob dieser allein an monetären Überlegungen ausgerichtete Dauerbetrieb die Akzeptanz von Länderspielen langfristig festigt, ist sehr fragwürdig.

Aber selbst der ob der Belastungen höchst besorgte Bundestrainer scheint sich mittlerweile mit den Zwängen arrangiert zu haben. Seine Mannschaft hatte zum Re-Start im September weder gegen Spanien (1:1) noch in der Schweiz (1:1) einen Vorsprung ins Ziel retten können. Löw ließ jetzt verlauten: »Wir wollen wieder Erfolgserlebnisse, wir wollen Tore schießen und wieder Siege einfahren. Wir wollen konzentriert und intensiv arbeiten, aber auch Spaß haben und diesen Spaß auch zeigen.«

Das alles aber vermutlich in der weniger vergnüglichen Atmosphäre eines Geisterspiels: Wie Bierhoff am Montag berichtete, mache ihm die auf 38,8 gestiegene Sieben-Tages-Inzidenz der Stadt Köln kaum Hoffnung, »dass wir vor Zuschauern spielen könne.« Der DFB wollte mit einer Freikartenaktion 9200 Besucher ins Stadion locken. Dass die Tickets sogar gratis rausgehen würden, um wenigstens ein bisschen Begeisterung zu erzeugen, schreibt Löws Assistenztrainer Marcus Sorg den allgemeinen Begleitumständen zu. »Insgesamt ist durch Covid-19 die Stimmung nicht gerade euphorisch.«

Um die Nationalspieler bei Laune zu halten, hat sich der Trainerstab einen Mix »aus Anspannung und Entspannung« erdacht. Dass Löw »im Grunde mit zwei unterschiedlichen Aufgeboten« plant, wird von den Akteuren offenbar goutiert: Am Montag hatte nur Suat Serdar wegen einer Verletzung abgesagt, Timo Werner verschob wegen einer Erkältung seine Anreise aus London. Nach dem obligatorischen Coronatest bewegt sich der DFB-Tross erneut in einer eigenen Blase, die diesmal auf zwei Etagen im Kölner Mannschaftshotel eingerichtet wird. Sorg ist sich bei den vielen anberaumten Gesprächen und Sitzungen sicher, »dass keinem Spieler bei uns langweilig wird«. Goretzka hat gerade erst am Sonntag verraten, dass er gerne zum Nationalteam fahre, weil er dann mal wieder ein »paar andere Gesichter« als nur seine bayrischen Kollegen sehe.

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